Rasches und entschlossenes Handeln ist erforderlich!

9. Mai 2022 Pressemitteilung

Landesschüler:innenvertretung, Landeselternbeirat und GEW Hessen äußern sich anlässlich des Aktionsplans der Landesregierung zur Beschulung von Geflüchteten aus der Ukraine

Frankfurt a.M. – Ende April besuchten gut 7.000 Schülerinnen und Schüler, die angesichts des Angriffs der russischen Armee auf die Ukraine geflohen sind, eine Schule in Hessen. Es hängt von dem nicht absehbaren weiteren Verlauf des Krieges ab, wie sich die Gesamtzahl weiterentwickelt und wie lange sie in Deutschland bleiben werden. Thilo Hartmann, Vorsitzender der GEW Hessen, stellte fest: „Für uns als Vertretungen der Schülerinnen und Schüler, der Eltern sowie des pädagogischen Personals steht außer Frage, dass in dieser Notlage rasches und entschlossenes Handeln erforderlich ist, um das Recht auf Bildung für alle zu verwirklichen. Es geht dabei nicht nur um das fachliche Lernen, sondern auch um die Rückkehr zu einem strukturierten, sicheren Tagesablauf nach oftmals traumatisierenden Fluchterfahrungen sowie um den Kontakt zu Gleichaltrigen.“

Inzwischen dürfte die Mehrzahl der Schulen Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine aufgenommen haben. Die Schulgemeinden vor Ort haben viel geleistet, um sie schnellstmöglich in bestehende oder neu gebildete Lerngruppen aufzunehmen und beim Ankommen in Deutschland zu unterstützen. Volkmar Heitmann, Vorsitzender des Landeselternbeirats, hob das in den vergangenen Wochen seitens der Elternschaft an den Tag gelegte Engagement hervor. In den Mittelpunkt stellte er dabei den Gesichtspunkt des Austauschs, auch zwischen den Eltern: „Wir als Eltern haben vorgeschlagen, an den Schulen Anlässe zu organisieren, um die Eltern zusammenzubringen. Das können beispielsweise gemeinsame Ausflüge und Feiern, gemeinsames Kochen und Backen oder auch Informationsaustausche über die Unterschiede der Schulsysteme sein. Das ist ‚nach Corona‘ für alle Eltern notwendig. Es müssen Kontakte geknüpft und Hilfen angeboten werden. Dabei sollte man übrigens auch die bisherigen Flüchtlinge nicht vergessen!“ Allerdings sei zu konstatieren, dass die Eltern häufig herangezogen würden, um als „Ausputzer“ für Versäumnisse beispielsweise seitens der Schulträger zu dienen.

Landesschulsprecherin Jessica Pilz betonte, dass den Schülerinnen und Schülern die Integration in das deutsche Bildungssystem ebenso ermöglicht werden soll wie der Besuch von Angeboten in ihrer Muttersprache: „Es sollte auch Unterricht in der ukrainischen Sprache geben. Wie bei anderen Herkunftssprachen muss Mehrsprachigkeit produktiv genutzt und gefördert werden. Auch wenn verständlicherweise viele Ukrainerinnen und Ukrainer möglichst rasch zurückkehren wollen, das Erlernen der deutschen Sprache sowie das Kennenlernen der Gesellschaft sind dennoch essenziell.“ Der von der Landesregierung in ihrem Aktionsplan Anfang Mai angekündigte ergänzende Unterricht in der ukrainischen Sprache im Umfang von vier Wochenstunden weise in die richtige Richtung. Allerdings soll dieser laut dem Aktionsplan der Landesregierung nur „im Rahmen der personellen, sächlichen und fachspezifischen Möglichkeiten der Schule“ angeboten werden. „Aufgrund des Lehrkräftemangels und angesichts der oftmals schlechten räumlichen Bedingungen, gerade in den größeren Städten, befürchten wir, dass nur eine Minderheit von diesem Angebot profitieren wird“, so die Sorge von Jessica Pilz. Nicht zu vernachlässigen seien zudem Angebote, bei denen Geflüchtete direkt mit den Schülerinnen und Schülern ihrer neuen Schule in Kontakt kommen und sich austauschen können.

Thilo Hartmann erinnerte daran, dass die Landesregierung bereits 2015 die Intensivklassen für Schülerinnen und Schüler mit geringen Deutschkenntnissen vergrößert hat: „Im Jahr 2015 wurde der Klassenteiler für Intensivklassen von 12 auf 16 hochgesetzt. Außerdem wurde die Stundenzuweisung verringert. Obwohl die Zahl der Intensivklassen nach 2016 wieder deutlich zurückgegangen ist, blieb es dauerhaft bei diesen Kürzungen. Nun wird der Klassenteiler nochmals erhöht, nämlich auf 19. In hochgradig heterogenen Intensivklassen, bei denen oftmals verschiedene psycho-soziale Problemlagen hinzukommen, ist eine vernünftige pädagogische Arbeit so kaum möglich. Daher fordern wir kleinere Lerngruppen und eine höhere Stundenzuweisung. Das erforderliche Personal muss durch eine Einstellungs- und Qualifizierungsoffensive gewonnen werden.“ In Frage dafür kämen nicht zuletzt mehrere tausend befristete Vertretungslehrkräfte, denen das Kultusministerium nach wie vor keine Dauerperspektive bietet. Zudem gibt es zumindest beim Lehramt für Gymnasien sowie beim Lehramt an Haupt- und Realschulen nach wie vor zahlreiche voll ausgebildete Lehrkräfte, die auf ein Einstellungsangebot des Landes warten.

Landesschüler:innenvertretung, Landeselternbeirat und Bildungsgewerkschaft teilen die Einschätzung, dass die Aufnahme der Geflüchteten die Schulen aufgrund deren Vernachlässigung in der Vergangenheit nun besonders herausfordert. Volkmar Heitmann konstatierte: „Bereits die Corona-Pandemie hat die Schwächen unseres Bildungssystem schonungslos offengelegt. Wären die Schulen personell, baulich, lüftungstechnisch und hinsichtlich der Digitalisierung in den vergangenen Jahren besser ausgestattet worden, würden sie nicht nur dauerhaft bessere Bildungschancen gewährleisten. Auch unvorhersehbare Krisensituationen, wie eine Pandemie oder eine Fluchtbewegung aufgrund eines Krieges mitten in Europa, wären dann deutlich besser zu meistern.“ Jessica Pilz ergänzte, dass nun endlich die richtigen Lehren gezogen werden müssen: „Die immensen Zukunftsaufgaben können wir nur bewältigen, wenn mehr Geld für gute Bildung bereitgestellt wird. Der derzeitige Lehrkräftemangel kann nicht als Entschuldigung dienen.“