„Aufbruch im Wandel“ oder „in Wiesbaden nichts Neues“?

Der Koalitionsvertrag von CDU und GRÜNEN

Eine erste Einschätzung aus Sicht der GEW Hessen

Nach weitgehend geräuschlosen Koalitionsverhandlungen präsentierten Volker Bouffier (CDU) und Tarek Al-Wazir (DIE GRÜNEN) am 20. Dezember 2018 den ausgehandelten Koalitionsvertrag mit dem Titel „Aufbruch im Wandel durch Haltung, Orientierung und Zusammenhalt“. 

Im Vorfeld der Wahlen hatte die GEW Hessen u.a. gemeinsam mit der Landesschülervertretung und dem Landeselternbeirat  mit regionalen Aktionstagen, mit Vertrauens- und Personalräteversammlungen, mit zwei Demonstrationen in Kassel und Frankfurt am 22. September 2018 sowie mit zahlreichen Diskussionsveranstaltungen für ihr Sofortprogramm für Bildung im Umfang von 500 Millionen Euro geworben. Die gemeinsam erhobenen Forderungen werden im Koalitionsvertrag kaum aufgegriffen. Es finden sich vereinzelt zwar einige positive Aspekte wie die Stärkung der politischen Bildung; hinsichtlich der Bildungspolitik bleibt aber der versprochene Aufbruch aus.

Qualitativer Ausbau von Kindertagesstätten

Die GEW fordert u.a. bis 2021 die Einstellung von 3.500 zusätzlichen Erzieherinnen und Erziehern, um sich einer Fachkraft-Kind-Relation von 1:3 im U3-Bereich und 1:8 im Ü3-Bereich zumindest anzunähern. Der Koalitionsvertrag kündigt nun „eine Verbesserung der Personalausstattung der Kitas unter Berücksichtigung der spezifischen Herausforderungen der Einrichtungen“ an. Darüber hinaus verspricht er, dass die Investitionsförderung aus Bundesmitteln vereinfacht werden und die Neubauförderung erhöht werden soll. Allerdings bleibt offen, auf welches Niveau die Personalausstattung verbessert werden soll und auch wie diese finanziert werden soll. Daher ist zu befürchten, dass Hessen weiterhin deutlich hinter der genannten, auf wissenschaftlichen Empfehlungen basierenden, Fachkraft-Kind-Relation zurückbleiben wird.

Arbeitszeitverkürzung und Entlastung der Lehrkräfte

Die unter Roland Koch erhöhte Pflichtstundenzahl muss aus Sicht der GEW deutlich reduziert werden, insbesondere um den erheblich angestiegenen Arbeitsbelastungen zu begegnen. Dazu fordert das GEW-Sofortprogramm eine unmittelbare Reduzierung der Pflichtstundenzahl um eine halbe Stunde sowie mehr Deputatstunden, um Zusatzbelastungen auszugleichen. Der Koalitionsvertrag kündigt nun zwar tatsächlich die Entlastung von Schulen und Lehrkräften an; diese soll aber offensichtlich nur anhand einer „Entbürokratisierung durch Straffung und Abschaffung von Berichtspflichten“ sowie durch landesweit 500 zentral finanzierte Verwaltungskräfte erreicht werden. Diese Maßnahmen mögen, wenn sie rasch und ernsthaft umgesetzt werden, tatsächlich zu einer gewissen Entlastung von Lehrerinnen und Lehrern beitragen. Sie können jedoch die überfällige volle Rücknahme der Arbeitszeitverlängerung nicht ersetzen.

A13 für alle!

Die Anhebung der Eingangsbesoldung von Grundschullehrerinnen und -lehrern auf A 13 bzw. E 13 ist aus Gerechtigkeitsgründen erforderlich, um diese den Lehrkräften der anderen Schulformen gleichzustellen. Aber auch der bestehende akute Lehrkräftemangel macht eine Anhebung unerlässlich. Leider greifen die Koalitionsparteien in dieser Frage auf eine Hinhaltetaktik zurück, indem sie lediglich feststellen, dass angesichts der Kosten „eine zeitnahe Realisierung nicht oder nur zu Lasten anderer Projekte möglich“ sei. Die vom Sofortprogramm veranschlagten 70 Millionen Euro für A 13 für alle! sind allerdings in Relation zum gesamten Landeshaushalt kein wirklich hoher Betrag. Man werde – so die Koalition – zu dieser Frage lediglich „das Gespräch mit unseren Nachbarbundesländern“ suchen. Das anzustrebende „abgestimmte und einheitliche Vorgehen“ der Bundesländer ist allerdings schon lange hinfällig, und Hessen droht so noch weiter ins Hintertreffen zu geraten, zumal immer mehr Bundesländer bereits A 13 einführen.

Echte Ganztagsschulen

Die GEW geht von einem Mindestbedarf von zusätzlich 60 Prozent Personalzuschlag zur Grundunterrichtsversorgung aus, um qualitativ hochwertige Ganztagsangebote entwickeln zu können. Der Koalitionsvertrag kündigt nun an, dass der Pakt für den Nachmittag, den die GEW wiederholt als „Mogelpackung“ kritisiert hat, zu einem „Pakt für den Ganztag“ weiterentwickelt werden soll. Damit erhielten Schulen die Möglichkeit, das Ganztagsangebot bis 14:30 Uhr als gebundenes oder teilgebundenes Modell zu gestalten. So werden mehr Spielräume für eine sinnvolle Rhythmisierung geschaffen, es bleibt aber bei der unzureichenden Personalausstattung. Auch können im Pakt nach wie vor Elternbeiträge anfallen. Pro Jahr sollen die benötigten Ressourcen für einen Wechsel in das Ganztagsschul-Profil 3 von bis zu 50 Grundschulen oder weiterführenden Schulen bereitgestellt werden. Aber auch hinsichtlich des Profils 3, das als einziges einen echten, gebundenen Ganztag vorsieht, soll es anscheinend bei der unzureichenden Personalausstattung bleiben. Zudem findet sich im Koalitionsvertrag kein Wort zur Bereitstellung  angemessener Räumlichkeiten für den Ganztagsbetrieb seitens des Schulträgers und einer entsprechenden finanziellen Beteiligung des Landes.

Inklusion

Die Inklusion wurde in Hessen 2011 als Sparmodell auf den Weg gebracht, das Menschenrecht auf inklusive Bildung unter einen Ressourcenvorbehalt gestellt. Die von Schwarz-Grün ins Leben gerufenen „inklusiven Schulbündnisse“ tragen bislang nicht erkennbar zu einem Fortschritt der inklusiven Schulentwicklung bei. Der eingeschlagene Weg soll nun offensichtlich im Wesentlichen unverändert fortgesetzt werden. Positiv zu erwähnen ist allerdings, dass an den Grundschulen eine sonderpädagogische Grundversorgung etabliert werden soll: Jeder Grundschule soll pro 250 Schülerinnen und Schülern eine Förderpädagoginnen bzw. -pädagogen-Stelle fest zugewiesen werden, „diese Lehrkräfte sind Teil des Kollegiums“. Darüber hinaus können weitere Stunden durch das Beratungs- und Förderzentrum zugewiesen werden. Die angekündigte sonderpädagogische Grundversorgung ist ein Schritt in die richtige Richtung, sie bleibt aber weit hinter dem von der GEW Hessen geforderten Niveau zurück. Dieses liegt bei einer sozialpädagogischen Fachkraft sowie einer Förderschullehrkraft pro drei Klassen. Angesichts einer durchschnittlichen Klassengröße von 20 wäre somit eine rund viermal höhere Zuweisung erforderlich.

Zukunftsfähige Hochschulen

Mehr Studienplätze, mehr Zeit für gute Lehre sowie eine Entfristungsoffensive durch die Umwandlung von 2.000 befristeten Arbeitsverträgen in Dauer stellen – das sind die zentralen Forderungen des Sofortprogramms für die hessischen Hochschulen. Einige Formulierungen im Koalitionsvertrag scheinen diesen Forderungen durchaus nahezukommen: Die angekündigte Anhebung der Grundfinanzierung um vier Prozent pro Jahr ab 2021 soll den Hochschulen eine Verbesserung der Betreuungsrelation von Lehrenden zu Studierenden ermöglichen. Zudem wird die Einrichtung von 300 neuen Professuren angekündigt; 129 befristete Professuren an den Hochschulen für angewandte Wissenschaft sollen entfristet werden. Weitere konkrete Zielgrößen und Maßnahmen werden aber leider nicht angekündigt. Ein „Kodex für gute Arbeit“ soll u.a. sicherstellen, dass befristeten Qualifikationsstellen so ausgestaltet werden, dass das Qualifikationsziel tatsächlich erreicht werden kann, zudem sollen „Daueraufgaben auch als Dauerstellen ausgestaltet werden“. Es wird allerdings auf die konkrete Umsetzung ankommen, damit sich diese erfreulichen Ankündigungen tatsächlich in spürbar besseren Arbeitsbedingungen an den Hochschulen niederschlagen.

Tarif und Besoldung

Einschnitte bei den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, wie sie in der vergangenen Legislaturperiode insbesondere bei der Beamtenbesoldung durchgesetzt wurden, sieht der aktuelle Koalitionsvertrag nicht vor. Mit der Tarifgemeinschaft deutscher Länder sollen Gespräche aufgenommen werden, „ob und wie das Land Hessen unter Beibehaltung der Vorteile des TV-H“ in die Tarifgemeinschaft zurückkehren kann. Die Tarifverhandlungsergebnisse wiederum sollen auf die Beamtenbesoldung übertragen werden – das strebe man zumindest an. Auch das Landesticket will die Koalition verstetigen. Aufgrund ihrer Vorbildfunktion soll die Landesverwaltung „so weit wie möglich“ auf sachgrundlose Befristungen verzichten. Anstellungslücken in den Ferien sollen zudem grundsätzlich vermieden werden, indem die Möglichkeiten zur Beschäftigung von Lehrkräften in den Sommerferien „vollumfänglich“ ausgeschöpft werden. Die vorsichtigen Formulierungen legen allerdings die Vermutung nahe, dass die Umsetzung dieser Willensbekundungen nicht zuletzt von der Entwicklung der Landesfinanzen abhängen dürfte. Da die Koalition an ihrer Finanzpolitik der „schwarzen Null“ festhalten möchte, ist zu befürchten, dass im Fall rückläufiger Steuereinnahmen auch Sonderopfer der Landesbeschäftigten schnell wieder auf die Tagesordnung kommen könnten.

Zukunftsfragen bleiben unbeantwortet!

Die Koalition stellt alle ihre Vorhaben unter einen Finanzierungsvorbehalt. Ausdrücklich von diesem ausgenommen sind nur der Pakt für den Ganztag, das Hessische Sozialbudget, die Sportförderung sowie der Brand- und Katastrophenschutz: „Wir behalten uns dabei vor, entweder einzelne Maßnahmen in geringerem Umfang, später im Laufe der Wahlperiode oder erst im folgenden Zeitraum anzugehen.“ Das bedeutet im Klartext, dass bei einem nicht unwahrscheinlichen Konjunktureinbruch und daraus resultierenden Steuermindereinnahmen wichtige Zukunftsaufgaben auf die lange Bank geschoben werden. Aber auch konzeptionell bleiben zentrale Fragen – hier sei nur auf die Bildungspolitik verwiesen – ungeklärt. Das ist nicht zuletzt auf programmatische Gegensätze zwischen den beiden Parteien zurückzuführen, die trotz der bislang weitgehend geräuschlosen Zusammenarbeit in Teilbereichen nach wie vor bestehen. Überfällige bildungspolitische Grundsatzentscheidungen bleiben so aus, was mit dem Verweis auf den „Elternwillen“ oder die „Wahlfreiheit“ kaschiert wird.Die GEW Hessen wird den Koalitionsvertrag in ihren Gremien in der nächsten Zeit bewerten und das entsprechende weiteres Vorgehen beschließen.