Besuch des GEW-Landesverbands bei der Info'Com de la CGT Paris

Spende der Kolleginnen und Kollegen der GEW Nordhessen von 3.500 Euro

Empfangen werden wir von Oliver Blandin, dem stellvertretenden Vorsitzenden oder secrétaire-géneral, der sich an dem Abend sechs Stunden für uns Zeit nimmt.

Die Info'Com de la CGT ist die Mediengewerkschaft der CGT, vergleichbar mit der IG Medien oder der alten IG Druck und Papier, die Branchengewerkschaft für Beschäftigte im Medien und Informationsbereich. Ihre Vorgängergewerkschaft wurde als Drucker- und Setzer- Gewerkschaft 1881 gegründet und ist damit 14 Jahre älter als die CGT. Olivier selber hat noch den Bleisatz gelernt und bis in die 1980er Jahre damit gearbeitet. 

Er betont, dass es bei der Bewegung nicht nur gegen das geplante neue Loi Travail ging, sondern gegen alles, was sich hinter der Fassade der sozialistischen Regierung verbirgt, und wofür das Loi Travail nur ein Ausdruck ist: ein radikaler neoliberaler Umbau der Gesellschaft. Dieser ist verbunden mit dem Abbau der Bürgerrechte, TTIP, dem Ausnahmezustand (État d'urgence). Die Regeln dazu stammen aus dem Jahr 1955, der Zeit des Algerienkrieges. Dieser Ausnahmezustand wurde inzwischen viermal vom Parlament verlängert, nach aktuellem Stand bis Januar 2017. Bis heute lehnen über zwei Drittel der Bevölkerung das geplante Gesetz ab, 71% der Bevölkerung sind darüber schockiert, dass Ministerpräsident Manuel Valls das Gesetz, mit Artikel 49-3 ohne Debatte durch das Parlament gedrückt hat. 

Den Anfang der Bewegung bildete die Jugend, Oberschülerinnen und Schüler, Studierende, die sich gegen die geplanten prekären Arbeitsbedingungen wehren. Es hieß vorher, die Jugend habe die Lehren der Geschichte vergessen und sei unpolitisch. Die Medien predigen Individualismus und Vereinzelung. Die Bewegung zeigte das Gegenteil. Besonders die Bewegung Nuit-Debout brachte frischen Wind in die französische Gesellschaft. Schockiert war Olivier über das Ausmaß an Polizeigewalt und Repression, das er in der jüngeren Vergangenheit gegen gewerkschaftliche Demonstrationen so nicht erlebt hat. 

Das von der info'com-CGT gegründete Solidaritätskonto, le pot commun, zahlt Geld an alle Menschen, die an einem „gréve reconductible“ teilgenommen haben, also einem „fortführbaren Streik“. Das bedeutet, dass der Streik nicht als befristet angekündigt wird. Nach dem Beginn des Streiks stimmen jeden Morgen die Streikenden demokratisch darüber ab, ob sie den Streik fortsetzen wollen oder nicht. Es ist unerheblich, welcher Gewerkschaft die Streikenden angehören oder ob sie unorganisiert sind. Jede und Jeder bekommt zwischen 30 und 50 Euro Streikgeld pro Tag. Die Höhe des Streikgeldes erfolgt nach sozialen Kriterien, die aber nicht die info'com-CGT festlegt, sondern die die einzelnen Gewerkschaften bestimmen. 

Olivier betont, wie bewusst der info'com-CGT die Gefahren sind, die von einer Kasse mit zeitweilig über einer halben Million Euro ausgehen. Jeder Spendeneingang, jede Geldübergabe wird über Facebook öffentlich gemacht um volle Transparenz herzustellen. Jeder Spender bekommt eine Spendenquittung. Bei der Übergabe von Schecks werden große Fotos der Schecks überreicht. Auch unsere Geldübergabe (3.500 Euro von insgesamt inzwischen 5.902,97 Euro) wurde fotografiert und über Facebook öffentlich gemacht. Die Rechenschaftspflicht gegenüber der Basis wird also sehr ernst genommen und auf originelle Weise verwirklicht. Der erste Vorsitzende der Info'Com- CGT, Romain Altmann, bestätigte uns gegenüber am Telefon, dass schon über 300.000 Euro des Geldes an Streikende ausbezahlt wurden. Bis zum Beginn der EM waren dies besonders Beschäftigte der Raffinerien, der zivile Luftverkehr, der Pariser Nahverkehr RATP, die französische Bahn SNCF, die Pariser Müllabfuhr, Fernfahrer und Hafenarbeiter. 

Die Streiks flauten während der Europameisterschaft ab und nach dem 14. Juli beginnt in Frankreich die Sommerpause. Auch wenn das Gesetz verabschiedet sein wird, rufen vier Gewerkschaften und Vertretungen der Studierenden (UNEF) und zwei Verbände der Lycéen, der Oberschülerinnen und Schüler (UNL und FIDL) für den 15. September zu einem nationalen Aktionstag auf, um das Gesetz wieder zurückzunehmen. Ähnliches gelang 2006 mit dem geplanten „Ersteinstellungsvertrag“, CPE. Dieser sah vor, dass Berufsanfänger die ersten zwei Jahre ohne Begründung hätten gefeuert werden können. Nach einer vier Wochen dauernden Massenbewegung von Jugendlichen und Gewerkschaften wurde das Gesetz nachträglich zu Fall gebracht. 

Nächstes Jahr werden Präsident und Nationalversammlung gewählt. Der Wahlkampf wird ab Herbst beginnen. Es droht ein weiteres Erstarken des Front National, der im Frühling und Sommer fast von der Bildfläche verschwunden schien. Die Info'Com- CGT hat Plakate und Aufkleber verbreitet, auf denen Marine Le Pen zu sehen ist, im Schatten von Marschall Pétain, dem Nati-Kollaborateur des Vichy-Regimes: „Stoppt den F- Hass!“ lautet die Parole. Olivier betont, wie auch die anderen Parteien, insbesondere die sozialistische Partei (PS) nach rechts gerückt sind und mit den Themen Angst und Migration Wahlkampf betreiben. Er sieht eine gefährliche Lage in Ländern wie Ungarn, Österreich, Großbritannien und Griechenland. Der Front- National kann nach seiner Ansicht am besten durch die Bewegung der Jugendlichen und der Gewerkschaften geschwächt werden, weil eine solche Bewegung die Demagogie des FN entlarvt und seine Anhängerschaft spaltet. In diesem Zusammenhang freuen sich Olivier, Roman und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter über die konkrete Solidarität aus Nordhessen, Beispiel für gelebte Deutsch-Französische Freundschaft.

On ne lâche rien! Wir geben nichts auf!

Paris, 15. Juli 2016

(Dieser Text ist am 27. Juli auf der Homepage der GEW Hessen erschienen)