"Die Zeit, den Beruf professionell auszuüben, ist nicht vorhanden."

Eine Kollegin berichtet aus ihrem Arbeitsalltag in einer Krippe.

Foto: Bert Butzke

Der untenstehende Beitrag dokumentiert den Arbeitsalltag in einer Krippe. Er wurde verfasst von einer Kollegin aus Nordhessen, die dort bei einem freien Träger arbeitet. Auch wenn die Arbeitsbedingungen sicher nicht in allen Einrichtungen gleich sind, sondern durchaus träger- und ortsspezifische Unterschiede bestehen, so lassen sich die geschilderten Bedingungen dennoch verallgemeinern: allerorten beklagen Kolleg*innen, eine Vielzahl verschiedener Aufgaben, die hohes Engagement und Aufmerksamkeit verlangen, gehetzt und unter ständigem Druck erledigen zu müssen.

Unterbesetzung ist die Regel und keineswegs die Ausnahme; eine wie auch von der GEW geforderte Verbesserung der Fachkraft- Kind- Relation, die pädagogisch mittelbare Zeiten und Ausfallzeiten (Krankheit, Urlaub, etc.) angemessen berücksichtigt, ist dringendst notwendig – der folgende Bericht verdeutlicht dies in eindrücklicher Weise.

Ich komme aus der Garderobe und betrete die Gruppe. Da schallt mir schon Emils Stimme entgegen „Hallo Rina“ und er rennt mich gleich fast um. Meine Kollegin, die bisher mit fünf Kindern alleine in der Gruppe war, schmiert Frühstücksbrote und schneidet Obst während wir kurz ein paar Absprachen treffen und nebenbei schon das Gruppengeschehen tobt. Unsere dritte Kollegin ist vertretungsweise in einer anderen Gruppe. Dies ist an neun von zehn Tagen der Fall, da in unserem Team eine volle Stelle unbesetzt und eine Kollegin langzeiterkrankt ist.

Max wird gebracht, ich spreche mit dem Vater über den anstehenden Wechsel seines Sohnes in den Kindergarten und wie wir diesen organisieren wollen. Max verabschiedet sich und möchte ein Buch vorgelesen bekommen. Das Vorlesen muss unterbrochen werden, weil gerade Ida nach dem Abschied von ihrer Mutter getröstet werden muss. Ich begleite sie ans Fenster, um der Mutter zu winken.

Maya wird gebracht und ich muss mit ihrer Mutter kurz etwas besprechen, was die Zahlung des Krippenbeitrages betrifft. Mit Ida auf dem Arm gehe ich an die Garderobe und spreche mit Mayas Mutter. Während einer, ein paar Sekunden dauernden, Gesprächspause ergreift Fabians Mutter die Chance und spricht mich an: Sie habe Sonnencreme mitgebracht. Wo solle diese denn aufbewahrt werden?

Merle wird gebracht und möchte mit mir winken gehen. Nebenbei will ich Mayas Mutter eine Telefonnummer aufschreiben. Als ich zurück an die Garderobe komme, ist sie schon weg. Na gut, dann eben morgen...

Nun verabschiedet sich auch Fabians Mama. Fabian ist 13 Monate alt und das jüngste Kind der Gruppe. Seine Eingewöhnung ist gerade abgeschlossen. Jedoch wird er noch viel auf dem Arm getragen. So auch heute. Nach der Verabschiedung weint er und braucht Körperkontakt mit seiner Bezugserzieherin.

Wir wollen mit dem Morgenkreis beginnen. Für Aufräumen ist keine Zeit mehr. Dafür hat sich die Bringzeit heute zu lange hingezogen. Wir rufen die Kinder zusammen und wollen uns auf dem Bauteppich treffen. Meine Kollegin sammelt mit Fabian auf dem Arm einige Kinder in der Puppenecke auf und lädt sie zum Morgenkreis ein.

Nach dem Morgenkreis: Händewaschen. Mit 12 Kindern zum Waschraum, Fabian wird getragen (laufen kann er noch nicht), verhindern, dass sie sich gegenseitig nassspritzen oder von den Waschbecken wegschubsen. Emil ist als einer der ersten fertig und will gleich noch mal in der kleinen Toilette die Klobürste ausprobieren, während wir Erwachsenen nicht hinschauen, weil wir anderen Kindern Unterstützung geben. Also Emil: gleich noch mal Händewaschen.

Nun geht es wieder in die Gruppe zum Frühstück. An den viel zu kleinen Tisch. Es ist ein Krippentisch für 8-10 Kinder und nun drängeln sich dort 12 Kinder plus zwei Erwachsene. Bei der Enge fliegt schnell mal der ein oder andere Becher vom Tisch oder ein Kind beißt seinen Sitznachbarn, weil es sich bedrängt fühlt. So sind auch heute schon zwei Becher vom Tisch geflogen bis alle Kinder etwas zu essen und zu trinken haben. Den Tischspruch nicht vergessen und dann Guten Appetit!

Fabian wird noch aus dem Gläschen gefüttert. An feste Nahrung gewöhnt er sich gerade so langsam. Vieles spuckt er wieder aus, sodass er noch seinen Brei braucht um satt zu werden. Meine Kollegin kümmert sich um ihn, während ich die anderen elf beim Essen unterstütze. Tee eingießen, den Teller mit dem Brot reichen, Verschüttetes aufwischen. Mein eigenes Frühstück kommt heute zu kurz.

Wir beschließen, das Zähneputzen heute sein zu lassen. Zu zweit mit 12 Kleinkindern sparen wir uns den Stress. Wir müssen ohnehin etwa eine Stunde allein für das Wickeln bzw. die Begleitung auf Toilette einplanen.

Wir beenden das Frühstück. Die Kinder dürfen aufstehen und spielen. Wir räumen den Tisch ab, die Spülmaschine ein. Ein Kind muss dringend gewickelt werden. Während meine Kollegin also zum Wickeln geht, schalte ich noch die Spülmaschine ein, wische den Tisch ab und habe gleichzeitig elf Kleinkinder im Blick, trage also die Verantwortung für das Wohl von elf Kleinkindern! Hier und da muss noch eine Streitigkeit um Spielzeug geschlichtet werden. Emil hat Maya im Schwitzkasten, weil sie etwas genommen hat, was er auch haben wollte. Erst mal einschreiten und Verletzungen verhindern. Dann die Entscheidung: spreche ich nun mit Emil über sein Verhalten und dass es nicht okay ist oder tröste ich Maya. Ich entscheide mich fürs Trösten.

Meine Kollegin kommt zurück. Wir wollen in den Garten. In der Garderobe helfen wir den Kindern beim Anziehen. Während die ersten dann schon in ihren Matschhosen schwitzen und von der Enge und Hitze in der Garderobe unruhig werden, müssen wir weiterhin die Ruhe bewahren. Die Kinder nicht einfach nur anziehen, sondern sie darin unterstützen, möglichst viel selbst zu tun. Die Garderobensituation soll eine Bildungssituation sein. Immer wieder kommt ein Kind und möchte Hilfe. Immer wieder sagen wir „Warte kurz, jetzt ist erst xy dran“.

Fertig. Alle sind angezogen. Nun noch schnell Fabian auf den Arm und ab nach draußen. Im Garten: Entspannung für alle.

20 Minuten später müssen wir wieder rein. Die Gruppe ist heute vollzählig und wir müssen viel Zeit zum Wickeln einplanen. Das Ausziehen geht schneller. Nun noch alle Kleidungsstücke an die richtigen Garderoben sortieren und für jedes Kind die richtigen Hausschuhe finden.

Meine Kollegin wickelt die Kinder oder begleitet sie auf die Toilette. In dieser Zeit bin ich mit den jeweils anderen elf alleine in der Gruppe. Bei 12 Kindern kann das schon mal eine Stunde dauern. So hat man für jedes Kind fünf Minuten Zeit. Nicht gerade viel für beziehungsvolle Pflege.

Die Kinder haben Durst. Ich gebe ihnen zu trinken, helfe bei verschiedenen anderen Aktivitäten, schlichte Streit, tröste, verhindere Unfälle und muss nebenbei noch die Spülmaschine ausräumen, damit gleich wieder Platz ist für das Geschirr vom Mittagessen.

Das Mittagessen kommt. Die Kinder sitzen wieder am viel zu engen Tisch. Zwei sind schon müde und weinerlich. Alle haben Hunger. Wir verteilen das Essen so schnell wir können. Irgendwer ist trotzdem immer der letzte und muss zwischendurch beschwichtigt werden. „Ja ich komme auch gleich zu dir.“ Als die letzten Kinder auch endlich etwas haben, sind die ersten schon wieder fertig. Fabian wird wieder gefüttert. Für das eigene Essen, auch den „pädagogischen Happen“ bleibt kaum Zeit. Schon gar nicht dafür, ein gutes Essensvorbild zu sein oder mit den Kindern darüber zu sprechen, was es denn heute überhaupt so gibt und wie es schmeckt.

Fabian muss zum Einschlafen noch getragen werden. Während meine Kollegin ihn schon mal in den Schlaf schuckelt, damit sie danach die Hände frei hat für weitere Kinder, die beim Einschlafen Zuwendung brauchen, verbringe ich das restliche Mittagessen alleine mit der Gruppe. Auch Gustav ist schon sehr müde und fängt an zu weinen und sein Geschirr vom Tisch zu schmeißen. Leider kann ich ihn nicht, seinem Bedürfnis entsprechend, direkt ins Bett bringen. Vorher müssen erstmal alle anderen Kinder aufgegessen haben. Während ich ihn beruhige, klettert Maya auf den Stuhl, weil sie sonst nicht an die Teekanne kommt. Sie fällt herunter und stößt sich den Kopf. Ich kühle die Stelle mit einem Kühlkissen. Nach kurzem Trösten muss ich Maya leider auf das Sofa legen und sich sich selbst überlassen, denn auch die anderen Kinder müssen versorgt sein. Eine Kollegin aus einer anderen Gruppe kommt zufällig vorbei und ich frage, ob sie mir Hilfe schicken kann. Zusammen helfen wir den Kindern dabei, sich zu waschen und auszuziehen. Meine Kollegin kommt aus dem Schlafraum. Fabian schläft. Nun noch die anderen hinlegen. Sie setzt sich zwischen Emil und Manuel, ich zwischen Johann und Max. Alle anderen können schon alleine einschlafen, was für Ein- und Zweijährige Kinder durchaus nicht selbstverständlich ist.

Ich komme aus dem Schlafraum. Nun wird das Chaos des Mittagessens beseitigt. 20 Minuten bin ich mit Geschirr abräumen, Spülmaschine einräumen und Tische und Stühle abwischen beschäftigt.

Jetzt habe ich Feierabend. Soll ich trotzdem noch schnell Gruppenraum und Flur kehren oder meiner Kollegin, die noch im Schlafraum ist, den Schmutz hinterlassen? Ich entscheide mich, wenigstens die größeren Haufen von Reis und Gemüse auf dem Boden wegzukehren.

Jetzt also Feierabend. Ach nein doch nicht. Zuhause fällt mir ein, dass meine Kollegin noch Mayas Mutter berichten muss, dass sie sich den Kopf gestoßen hat und sie darauf achten soll, ob ihr schlecht wird oder sie sich anders unwohl fühlt. Also rufe ich noch einmal in der Krippe an und informiere meine Kollegin.

Im Sommer läuft mein Vertrag in der Krippe aus. Aufgrund des KiföG und der damit verbundenen monatlichen Berechnungen des Personalschlüssels, war er für ein Jahr befristet, damit man mit den Entwicklungen der Kinderzahlen flexibel umgehen kann. Ich werde ihn nicht verlängern. Diese für Kinder und Fachkräfte schlechten Bedingungen trage ich nicht länger mit.

Ich habe mich für diesen Beruf entschieden, weil ich es wichtig finde, wie Kinder aufwachsen. Sie bestimmen schließlich die Zukunft unserer Gesellschaft. Ich habe es mir als erfüllenden, abwechslungsreichen und anspruchsvollen Beruf vorgestellt, Kinder auf ihrem Weg zu begleiten. Entwicklungen zu beobachten, Angebote zu planen, zu dokumentieren, Eltern in ihren Erziehungsaufgaben professionell zur Seite zu stehen, sich mit anderen Fachmenschen auszutauschen, ... Die Zeit, den Beruf professionell auszuüben, ist aber nicht vorhanden. So wird es schwierig sein vom Basteltantenklischee Abschied nehmen zu können, der mit dem Beruf Erzieher*in verbunden ist, um mehr Menschen für den Bereich der Frühen Bildung zu begeistern. Den Fachkräftemangel wird man so sicherlich nicht beheben. Den Betreuungschlüssel zu verschlechtern, oder vermehrt Menschen mit niedrigeren Bildungsabschlüssen (Sozialassistent*innen, Kinderpfleger*innen, Kindergartenhelfer*innen) einzustellen, um das Problem kurzfristig zu beheben, wird ebenfalls nicht funktionieren. Vielmehr braucht es eine Professionalisierung des Berufsfeldes. Und die erfordert eben auch angemessene Vor- und Nachbereitungszeiten sowie einen angemessenen Fachkraft-Kind-Schlüssel, der realistisch Fehlzeiten einbezieht, die durch Krankheit, Urlaub und Fortbildung entstehen.

Würden Lehrer*innen so arbeiten müssen wie Erzieher*innen, würden sie während ihres Unterrichts den Unterricht vorbereiten, Klausuren und Arbeitsblätter erstellen, Klausuren korrigieren, Gespräche mit einzelnen Schüler*innen oder Eltern führen oder auch mal die Spülmaschine im Lehrerzimmer einräumen.

Ich habe kein Problem damit, während meiner Arbeitszeit die Spülmaschine einzuräumen oder auch mal aufzuwischen. Das gehört nunmal zum Leben dazu. Diese Tätigkeiten dürfen aber nicht von der Zeit abgehen, die eigentlich für die Kinder da ist.

Von der Zeit, die wir eigentlich für die Beziehungsgestaltung zu den Kindern brauchen. Für Beobachtung und Dokumentation von kindlichen Lern- und Entwicklungsprozessen. Für den Austausch mit Kolleginnen. Für die Zusammenarbeit mit den Eltern. Der hessische Bildungs- und Erziehungsplan sieht es jedenfalls vor, dass wir diese Dinge umsetzen. Zeit dafür habe ich aber keine.