Grundschulöffnung am 22.6.2020 | Kundgebung | Redebeitrag

Wir dokumentieren zum Nachlesen den Redebeitrag von Johannes Batton

Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Eltern liebe Schülerinnen und Schüler,

am Dienstag letzter Woche war die Grundschulwelt noch vergleichsweise in Ordnung. An diesem Tag gab der hessische Kultusminister in einer Pressemitteilung bekannt, er habe eine „Konzeptgruppe Schuljahresbeginn“ ins Leben gerufen. Diese solle unter Beteiligung von Schulleiterinnen, Eltern, Schülern und dem Hauptpersonalrat der Lehrkräfte in den nächsten Wochen ein Konzept für den Schulbetrieb nach den Sommerferien erarbeiten. Prima so, dachte ich mir. Keine einsamen Entscheidungen mehr. Beteiligungsrechte werden ab jetzt Ernst genommen. So soll es sein.

Doch lag ich mit dieser Einschätzung völlig daneben. Zur gleichen Zeit lag nämlich schon der Brief in der Schublade, der am nächsten Morgen an alle Grundschulen und Grundstufen geschickt wurde, dort völlig unerwartet einschlug und für helle Empörung sorgte. Er enthielt die Weisung, am Montag, 22.6.2020 den Regelbetrieb wieder aufzunehmen.

Warum die Empörung? Wegen der Missachtung von Schulleiterinnen, Lehrkräften und Kindern, die in diesem Vorgehen zum Ausdruck kommt. Der bis dahin gültige Erlass enthielt die eindeutige Festlegung, dass der Präsenzunterricht, wie er überhaupt erst seit dem 2. Juni auf der Basis des Abstandsgebots für alle Klassenstufen praktiziert wurde, bis zu den Sommerferien Bestand haben würde. Alle Schulen hatten den Unterricht auf dieser Grundlage organisatorisch und inhaltlich geplant. Dass sie nun, kaum dass sie sie erstellt hatten, all diese Planungen für ganze 10 Unterrichtstage wieder über den Haufen werfen und neu machen mussten - Raumpläne, Stundenpläne, Personaleinsatzpläne, Aufsichtspläne und was alles dazu gehört – ist absurd. Verehrter Minister, wie wäre es denn mit ein wenig Respekt vor der Arbeit von Schulleiterinnen?

Ebenso krass finden wir, dass Lehrkräfte, die kleinen Kindern gerade die Notwendigkeit des Schutzes, der über Abstandsregeln gegeben ist, vermittelt hatten, und die nun in den letzten Tagen beobachten konnten, wie umsichtig ihre Kinder geworden waren, wie sie Abstände einhielten und ihr Verhalten ritualisierten, dass die gleichen Lehrkräfte den gleichen Kindern nun ab Montag vermitteln müssen, dass der Schutz auf einmal nicht mehr im Abstand liegt, sondern in der Nähe, der Nähe in der großen Gruppe. Wobei das natürlich nur in der Schule gilt. Es ist geradezu skurril: Während auf der Liegewiese im Freibad unter freiem Himmel ein Abstandsgebot von 1,50 m vorgeschrieben wird und sich nur eine Person pro 5 qm aufhalten darf, sollen sich in den Klassenräumen der Grundschulen, die sich oftmals auch noch schlecht durchlüften lassen, mehr als 20 Kinder und eine Lehrkraft drängeln. Verehrter Herr Minister, spielen Sie hier mit der Glaubwürdigkeit von Lehrkräften? Wie wäre es mit ein wenig mehr Achtung vor Kindern und Respekt vor der Arbeit von Grundschullehrerinnen!?

Und das Empörendste von allem, weil es selbst wenn es nicht so klar ausgesprochen worden wäre, genau das Empfinden der Lehrkräfte trifft, kam in einem Interview des Ministers zum Ausdruck, das er ebenfalls am Dienstag letzter Woche der FR gegeben hat. Frage FR: Der Virologe Hendrik Streeck von der Universität Bonn hat empfohlen, die zwei Wochen vor den Sommerferien als Testphase zu nutzen und die Schulen für alle zu öffnen. Dann könne man sehen, ob die Infektionszahlen tatsächlich steigen Antwort Minister Lorz: „Ich finde diese Idee sehr spannend.“

Verehrter Minister: Wie wäre es, wenn Sie sich ein wenig besännen auf die Verantwortung die Sie kraft Amtes auch für die Gesundheit hessischer Schülerinnen und Lehrkräfte haben? Dann fänden Sie einen solchen Test vielleicht nicht mehr spannend, sondern einfach nicht verantwortbar

Auch interessant in diesem Zusammenhang: Wer heute das Interview nachlesen will, findet im Internet folgende Anmerkung der Redaktion: Professor Streeck legt Wert auf die Feststellung, dass er eine Öffnung der Schulen als Testphase vor den Sommerferien NICHT empfohlen hat.

Es ist keine Frage: Kinder haben ein Recht auf Bildung und sie brauchen die Gemeinschaft anderer Kinder. Wir können auch das Bedürfnis von Eltern verstehen, ihre Kinder wieder wie im Regelbetrieb jeden Tag zur Schule zu schicken. Wir verstehen ihre Nöte. Aber Kinder haben ebenso wie Lehrkräfte auch ein Recht darauf, dass mit ihnen keine Versuche unternommen werden, nach dem Motto: schauen wir mal, was passiert. In der Wissenschaft wird die Frage des Infektionsrisikos von Kindern und ihre Rolle als Verteiler des Virus weiter diskutiert und ist keineswegs geklärt. Solange das so ist, müssen wir vorsichtig sein. Was wir da am wenigsten brauchen können, sind ministerielle Schnellschüsse zur Unzeit mit fragwürdiger Absicht. Nein, Herr Minister, Ihre Versuchskaninchen wollen wir nicht sein!

Was können wir jetzt noch tun, nachdem zahlreiche Proteste und Forderungen an den Kumi, seine Entscheidung rückgängig zu machen, bis heute ungehört geblieben sind? Eine Hoffnung, wie es gelingen könnte, die angestrebte Testphase doch noch zu unterlaufen, verbinde ich mit folgender Überlegung: Es gibt etliche Eltern, die Bedenken haben, ihre Kinder unter diesen Vorzeichen in die Schule zu schicken. Das Kultusministerium hat – vermutlich um eine Klage von Eltern zu vermeiden – die Präsenzpflicht für die Schüler aufgehoben. Insofern ist nicht klar, wie viele Kinder nächste Woche tatsächlich in die Schule kommen werden. Viele Eltern dürften in dieser Frage noch zögerlich bzw. schwankend sein. Wir sollten ihnen die Entscheidung erleichtern, indem wir versichern, dass Kinder, die in den letzten Tagen zu Hause bleiben, keine Nachteile zu befürchten haben, etwa weil keine neuen Lerninhalte durchgenommen werden. Es gibt Schulen, die dies aktiv angegangen sind und die nun davon ausgehen, dass nur ein Drittel ihrer Schülerinnen in den nächsten 2 Wochen in ihre Grundschule kommen werden, so dass man dort auch in den letzten Schultagen an den bisher geltenden Abstandsregeln festhalten kann. So könnte es vielleicht doch noch gelingen.

In diesem Sinne wünsche ich euch das Beste, kommt gut und vor allem gesund mit den euch anvertrauten Kindern durch den Rest des Schuljahres. Vielleicht wird ja auch noch was aus der „Konzeptgruppe Schuljahresbeginn“. So etwas ist dringend nötig, denn wir brauchen ein Konzept für die weitere Schulöffnung nach den Sommerferien, aber es muss ein Konzept sein, das verantwortbar ist und an dem alle Beteiligten mitgewirkt haben.