Lehrkräftemangel an den berufsbildenden Schulen droht

Studie der GEW

Pressemitteilung Landesverband 27.11.2018

Foto von der Pressekonferenz in Wiesbaden v.l.:
Ralf Becker, Berufsschullehrer in Rüsselsheim und Vorsitzender der GEW-Fachgruppe Berufsbildende Schulen
Dr. Roman George, Referent Bildungspolitik GEW Hessen
Birgit Koch, Vorsitzende der GEW Hessen
Tilmann Stoodt ist Schulleiter der Werner-von-Siemens-Schule in Frankfurt am Main und zudem Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Frankfurter Schulleiterinnen und Schulleiter der beruflichen Schulen

Die GEW Hessen hat in Wiesbaden auf den bereits bestehenden Mangel an ausgebildeten Berufsschullehrkräften hingewiesen. Außerdem wird die Zahl der Schülerinnen und Schüler nicht – wie von Kultusverwaltung und Bildungspolitik lange erwartet – weiter sinken. Darüber hinaus wird ein großer Teil der Berufsschullehrerinnen und -lehrer in den kommenden Jahren in den Ruhestand gehen, so dass sich die Lücke weiter vergrößern wird. Dazu äußerte sich Birgit Koch, Vorsitzende der GEW Hessen: „Dass an den berufsbildenden Schulen schon seit vielen Jahren ein eklatanter Mangel an ausgebildeten Lehrkräften besteht, ist allen Akteurinnen und Akteuren in der Bildungsverwaltung und Bildungspolitik bekannt. In der öffentlichen Diskussion spielt der Lehrkräftemangel in der Berufsbildung hingegen kaum eine Rolle. Während das Kultusministerium für das Grund- und das Förderschullehramt inzwischen Sondermaßnahmen zur Gewinnung zusätzlicher Lehrkräfte aufgelegt hat, ist für die berufsbildenden Schulen bislang nichts geschehen. Daher ist eine realistische Bestandsaufnahme überfällig, um auf dieser aufbauend Gegenmaßnahmen zu entwickeln.“

Ralf Becker, Berufsschullehrer in Rüsselsheim und Vorsitzender der GEW-Fachgruppe Berufsbildende Schulen, bemängelte die unzureichende Bedarfsplanung seitens des Kultusministeriums: „Die offiziellen Prognosen der Kultusministerkonferenz, auf die sich die Kultusbehörden bei ihrer Bedarfsplanung stützen, haben bis vor kurzem weder die steigenden Geburtenzahlen noch die erhöhte Zuwanderung angemessen berücksichtigt. Daher wurde auch der zukünftige Bedarf an ausgebildeten Lehrkräften viel zu gering eingeschätzt. Die GEW hat angesichts dieses Versagens der Kultusbürokratie beim Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie in Berlin eine eigene Prognose in Auftrag gegeben. Diese zeigt, dass der für Hessen bislang erwartete deutliche Rückgang hinsichtlich der Schülerinnen und Schüler an den berufsbildenden Schulen ausbleibt. Es ist daher höchste Zeit, nun beherzt gegenzusteuern.“

Die Studie „Prognose der Schüler*innenzahl und des Lehrkräftebedarfs an berufsbildenden Schulen in den Ländern bis 2030“ wurde von Dr. Dieter Dohmen und Dr. Maren Thomsen erstellt. Damit wurde erstmals eine detaillierte Prognose für alle 16 Bundesländer vorgelegt. Bundesweit rechnen Dohmen und Thomsen bis 2030 mit 2,587 Millionen Schülerinnen und Schülern an den berufsbildenden Schulen – ein Anstieg um drei Prozent. Die Situation in den Bundesländern stellt sich allerdings durchaus unterschiedlich dar. Während steigende Zahlen insbesondere in den Stadtstaaten und in den ostdeutschen Bundesländern zu erwarten sind, steht in den meisten westdeutschen Flächenländern – zumindest bis 2030 – ein Rückgang an. In Hessen wird dieser jedoch nur äußerst moderat ausfallen; schon ab 2023 zeichnet sich wieder ein Zuwachs ab. Für das Jahr 2030 wird mit einer Zahl von knapp 185.000 Schülerinnen und Schülern ein Wert auf dem gleichen Niveau wie im Jahr 2017 prognostiziert. Daraus lässt sich, Dohmen und Thomsen zufolge, ableiten, dass unter der Grundannahme einer gleichbleibenden Relation zwischen Lehrkräften und Schülerinnen bzw. Schülern auch der Lehrkräftebedarf, nach einem kurzzeitigen geringfügigen Rückgang, 2030 nach wie vor bei rund 9.000 Vollzeitstellen liegen wird.

Birgit Koch sieht angesichts dieses Befunds und der bekannten Altersstruktur der Kollegien einen dringenden Handlungsbedarf: „Wenn die Zahl der Schülerinnen und Schüler an den Berufsschulen, an den beruflichen Vollzeitschulen und im so genannten Übergangssystem im Wesentlichen gleich bleibt, dann hat das selbstverständlich wichtige Konsequenzen für den zukünftigen Lehrkräftebedarf. Werden jetzt nicht genügend Lehrkräfte ausgebildet, um alle aus dem Schuldienst ausscheidenden Kolleginnen und Kollegen zu ersetzen, so wird sich eine wachsende Lücke auftun. Dem Statistischen Landesamt zufolge sind zurzeit rund 9.600 Lehrkräfte in Voll- oder Teilzeit an den berufsbildenden Schulen tätig. Ein großer Teil davon ist 55 Jahre oder älter, wird also noch vor 2030 das reguläre Ruhestandsalter erreichen. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass ein gewisser Anteil aus unterschiedlichen Gründen, meist gesundheitlichen, vorzeitig aus dem Schuldienst ausscheiden wird. Wir schätzen daher, dass bis 2030 annähernd jede zweite Lehrkraft durch eine jüngere Kollegin oder einen jüngeren Kollegen ersetzt werden muss. Deshalb erwarten wir einen Einstellungsbedarf von insgesamt rund 4.000 Berufspädagoginnen und -pädagogen, das macht durchschnittlich gut 300 pro Jahr. Im vergangenen Jahr haben an den hessischen Universitäten aber nur 149 Personen einen Masterabschluss für das Berufsschullehramt erworben.“

Schon heute ist vor diesem Hintergrund der Mangel an ausgebildeten Lehrkräften eine große Herausforderung für die berufsbildenden Schulen. Diese müssen in erheblichem Umfang auf Gymnasiallehrkräfte sowie auf Seiteneinsteigerinnen und -einsteiger ohne pädagogische Ausbildung zurückgreifen. Wenngleich der Seiteneinstieg an den berufsbildenden Schulen kein neues Phänomen ist, so sind diese gleichwohl für die Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen Berufsbildung darauf angewiesen, dass für das Gros der Unterrichtsversorgung berufspädagogisch ausgebildete Lehrkräfte zur Verfügung stehen. Auf die konkreten Probleme, welche sich den berufsbildenden Schulen schon heute stellen, wies Tilmann Stoodt hin: „Nicht erst, seitdem in den Zeitungen vom gravierenden, landesweiten Lehrermangel berichtet wird, sondern schon seit vielen Jahren ist es sehr schwierig, Lehrkräfte für den berufsbezogenen Unterricht gewerblich-technischer Ausprägungen zu gewinnen. Die Schulen sind darauf verwiesen, Personen zu finden und für den Lehrerberuf zu gewinnen, die die Voraussetzungen für den Quereinstieg erfüllen. Das gestaltet sich zunehmend schwierig, denn der Fachkräftemangel betrifft gerade auch ingenieurwissenschaftlich ausgebildete Personen. Das gilt nicht nur für die seit langem bekannten Mangelbereiche Elektrotechnik, Metalltechnik und Informationstechnik, sondern auch für andere Berufsfelder. Das bewährte duale System der deutschen Berufsausbildung gerät in Gefahr.“ Tilmann Stoodt ist Schulleiter der Werner-von-Siemens-Schule in Frankfurt am Main und zudem Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Frankfurter Schulleiterinnen und Schulleiter der beruflichen Schulen.

Die GEW Hessen fordert vor diesem Hintergrund ein umfassendes Maßnahmenpaket, um dem Lehrkräftemangel entgegenzuwirken. Hierzu stellte Ralf Becker fest: „Eine deutliche Erhöhung der Studienplätze alleine wird nicht ausreichen. Die Tätigkeit des Berufsschullehrers und der Berufsschullehrerin muss durch ein ganzes Bündel an Einzelmaßnahmen attraktiver gemacht werden, um wieder mehr Nachwuchskräfte gewinnen zu können. Dabei geht es gerade auch bei den technischen Fachrichtungen darum, in der Konkurrenz mit der Industrie nicht weiter ins Hintertreffen zu geraten.“ Darüber hinaus forderte Ralf Becker auch nachdrücklich eine Erhöhung der vorgehaltenen Plätze im Vorbereitungsdienst. Dieser muss sowohl von den Absolventinnen und Absolventen berufspädagogischer Studiengänge wie auch von Seiteneinsteigerinnen und -einsteigern durchlaufen werden: „Das Land stellt gerade mal 240 Plätze pro Jahr für den Vorbereitungsdienst bereit. Wie wir aufgezeigt haben, reicht das bei weitem nicht aus, um den Bedarf zu decken. Selbst unter der weltfremden Annahme, dass alle nach dem Vorbereitungsdienst in den hessischen Schuldienst gehen, reichen diese Plätze nicht einmal aus, um den vom Kultusministerium selbst ausgewiesenen Ersatzbedarf zu decken.“ Dieser wurde einer aktuellen Publikation der Kultusministerkonferenz zufolge für das Jahr 2018 mit 360 beziffert, für 2019 mit 250 und für 2020 mit 290.

Lehrkräftebedarf an den berufsbildenden Schulen in Hessen | Dr. Roman George GEW Hessen

Prognose der Schüler*innenzahl und des Lehrkräftebedarfs an berufsbildenden Schulen in den Ländern bis 2030 | Studie von Dieter Dohmen und Maren Thomsen, FiBS Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie