Rechtspopulist_innen entgegentreten - zum Umgang der GEW Nordhessen mit der AfD

Beschluss des GEW Bezirksverbands Nordhessen

Rechtspopulist_innen entgegentreten – zum Umgang der GEW Nordhessen mit der AfD

Die GEW Nordhessen positioniert sich anlässlich der Wahlergebnisse der Alternative für Deutschland (AfD) und der von ihr vertretenen Inhalte zum allgemeinen Umgang mit der Partei. Es geht uns um Selbstverpflichtungen und Empfehlungen für einen kritischen politischen Umgang mit rechtspopulistischen Argumentationsmustern. Selbstverständlich sind darüber hinaus politische Bildung und andere Maßnahmen der Gewerkschaften und der Zivilgesellschaft unerlässliche Bestandteile der demokratischen Arbeit und der Auseinandersetzung mit Rechtspopulismus in Politik und Gesellschaft.

Eine klare Positionierung erscheint besonders dringlich, weil die Auswertung der Ergebnisse der Landtagswahlen 2016 zeigt, dass der Anteil von Gewerkschaftsmitgliedern unter den AfD-Wähler_innen durchweg leicht über dem gesamten AfD-Anteil liegt : Mecklenburg-Vorpommern: 20,8% gesamt - 21% Gewerkschaftsmitglieder; Baden-Württemberg: 15,1% - 15,7%; Rheinland-Pfalz: 12,6% - 14,3%; Sachsen-Anhalt: 24,2% - 25,1%.

Die GEW steht für Demokratie, Sozial- und Rechtsstaatlichkeit sowie unveräußerliche Menschenrechte ein. Grundlage der Zusammenarbeit in Bündnissen mit anderen Organisationen ist die gegenseitige Achtung der Mitglieder unabhängig von religiösen, weltanschaulichen und kulturellen Unterschieden. Die GEW engagiert sich auf allen Ebenen für die Gleichberechtigung aller Geschlechter, Inklusion, ein friedliches Miteinander der Völker und der Religionen, Arbeitnehmer_innenrechte und soziale Gerechtigkeit, Umweltschutz, ein demokratisches und soziales Europa sowie eine solidarische Gesellschaft.

Diesen Positionen steht die AfD unvereinbar gegenüber. In der Konsequenz der von ihr vertretenen Haltungen macht sie hier lebende Menschen, die nicht in ihr Deutschlandbild passen, für gesellschaftliche Probleme verantwortlich und formuliert den Bezug auf einen eng gefassten Nationenbegriff als Gegenentwurf. Sie ist eine rechtspopulistische Partei, die Narrative und Lösungsmuster anbietet, für die auch rechtsextreme Parteien werben.

Allerdings formuliert die AfD ihre Positionen so zweideutig, dass sie drohen gesellschaftsfähig zu werden: Einerseits distanziert sie sich öffentlich von Neonazis, andererseits finden sich Gedankenspiele zur Kooperation mit rechtsextremen Parteien und ein Kokettieren mit rassistischen, völkischen und menschenfeindlichen Ressentiments. Ihr Eintreten für „Volksabstimmungen nach Schweizer Vorbild"  und „grundlegende Reformen zum Wohle Deutschlands“  zielt zudem nicht auf die Stärkung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ab, sondern auf ihre Zersetzung.

Die AfD lehnt den sogenannten „Multikulturalismus“ ab , polemisiert gegen ein angebliches „Meinungsdiktat in allen öffentlichen Diskursen“ , stellt die Europäische Union in Frage  und betreibt eine menschenfeindliche Hetze gegen vermeintlich „irreguläre Migranten“ .

Die AfD zeigt mit ihrer Rhetorik und ihren Positionen, dass sie anschlussfähig an rechtsextreme Parteien in Deutschland, aber auch in Europa ist. Rechtspopulistische Äußerungen werden sogar von Vertreter_innen demokratischer Parteien übernommen und damit politik- und gesellschaftsfähig gemacht. Die Lösungskompetenz der parlamentarischen Demokratie wird so in Zweifel gezogen.

Die Auseinandersetzung mit wesentlichen Positionen der AfD macht deutlich, dass diese der Wertebasis der Gewerkschaftsbewegung insgesamt widersprechen. Als Bildungsgewerkschaft richtet die GEW ihr besonderes Augenmerk auf die bildungspolitische Programmatik der AfD und stellt fest, dass schon allein in diesem Politikfeld die Positionen von AfD und GEW unvereinbar sind.

Die AfD ist verfassungsfeindlich.

Aus Sicht der Bildungsgewerkschaft GEW zeigt sich dies beispielhaft im Bereich der Hochschulpolitik. Die AfD betont zwar die Freiheit von Forschung und Lehre, fordert zugleich aber, die Gender-Forschung zu beenden: „Bestehende Genderprofessuren sollten nicht mehr nachbesetzt, laufende Gender-Forschungsprojekte nicht weiter verlängert werden.“

Die Entscheidung über Einrichtung, Denomination, Besetzung und Verlängerung von Professuren und Forschungsvorhaben liegt im Rahmen der Freiheit von Forschung und Lehre einzig bei den Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen, die solche Entscheidungen ausschließlich nach wissenschaftsgeleiteten Kriterien treffen. Ein im Sinne der AfD-Programmatik politisch motivierter Eingriff in die Wissenschafts– und Hochschulautonomie stünde im Widerspruch zu diesen grundgesetzlich garantierten Freiheitsrechten.

Die AfD ist rückwärtsgewandt und vertritt ein autoritäres und bildungsfeindliches Weltbild.

Sie setzt sich in ihrer Programmatik dafür ein, „dass an den Oberschulen [ ! ] wieder Bildungsinhalte im Mittelpunkt eines vom Fachlehrer geleiteten Unterrichts stehen und Kompetenzen ihnen untergeordnet bleiben.“  Sie propagiert damit ein antiquiertes Bild vom Lehren und Lernen, das nicht auf gemeinsamer Wissenserschließung, Kooperation, Unterstützung und Förderung beruht, sondern auf frontaler Vermittlung von unreflektiertem Faktenwissen.

Mehr noch: Die AfD sieht den Lehrer (Lehrerinnen werden in ihrem Programm nicht erwähnt) vor allem als disziplinierende und strafende Instanz, denn ein angemessenes Verhalten der Schüler könne „nur durchgesetzt werden, wenn den Lehrern die dazu geeigneten Maßnahmen zur Verfügung stehen und deren Durchsetzung nicht ständig hinterfragt wird.“  Wie auch immer geartete Formen des Fehlverhaltens in der Schule seien „nicht zu tolerieren und unter Einbeziehung der Erziehungsberechtigten angemessen zu ahnden.“ Die Bildungsgewerkschaft GEW wendet sich aufs Schärfste gegen politische Forderungen nach Unterrichtsformen und –inhalten, die auf der primitiven Logik von Belohnung und Bestrafung beruhen und deshalb kontraproduktiv für den Lernerfolg und schädlich für den Schulfrieden sind.

Weiterhin wendet sich die GEW gegen eine sachlich durch nichts gerechtfertigte Hierarchisierung der Lehrer_innenausbildung, wie sie der AfD vorschwebt: „Pädagogische Hochschulen für Grund-, Haupt- und Realschullehramt sind flächendeckend wieder einzuführen.“  Eine solche Abstufung der Lehrer_innenausbildung steht in klarem Widerspruch u.a. zur aktuellen GEW-Forderung „A13 für alle“ und ist daher abzulehnen.

Im Feld der Hochschulpolitik spielt die AfD programmatisch die verschiedenen Wissenschaftsbereiche im Sinne eines einfältigen Kosten-Nutzen-Denkens gegeneinander aus: „Die AfD begrüßt die zentrale Rolle der MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) für die Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit unseres Landes.“  Die GEW wendet sich gegen eine Politik der Herabwürdigung einzelner Wissenschaftsbereiche und steht für das Leitbild einer in allen Disziplinen solide grundfinanzierten Volluniversität ein, die einzelne Fächer nicht aus kurzsichtigen, politisch induzierten und wissenschaftsfernen Profiterwägungen bevorzugt oder benachteiligt.

Die AfD ist LSBTIQ-feindlich.

Die AfD ist Lesben-, Schwulen-, Bisexuellen-, Trans*-, Inter*- und Queerfeindlich . In verschwörungstheoretischer Diktion unterstellt sie, dass Schulkinder „Spielball der sexuellen Neigungen einer lauten Minderheit“  seien, die direkten Einfluss auf die Lehrpläne nehme. Zum anderen suggeriert sie, dass man die sexuelle Identität von Kindern oder Jugendlichen beeinflussen, „lenken“ oder „Fehlentwicklungen“ gar „heilen“ könne. Derartige Methoden der „Umerziehung“ sind in unseren Augen psychische Gewalt.

Sexuelle und geschlechtliche Identität sind keine „Wahl“, weder bei hetero-, bi- oder homosexuellen Menschen, weder bei Frau und Mann noch bei trans*, inter* oder queeren Menschen. Die Bildungsgewerkschaft GEW setzt sich für die uneingeschränkte freie Entfaltung und Entwicklung von Kindern und Jugendlichen ein und widerspricht damit den Anschauungen und Forderungen der AfD.

Die AfD ist gegen Gleichstellung und gegen Inklusion.

Die AfD brüstet sich damit, mit ihrer Positionierung gegen die „Gender-Ideologie“  aus der Riege der demokratischen Parteien auszubrechen. Tatsächlich zeigt sich beim Thema Gleichberechtigung von Männern und Frauen, dass sie programmatisch aus der Moderne ausschert: Denn die AfD bekennt sich zwar in ihrem Grundsatzprogramm zur „grundrechtlich garantierten Gleichberechtigung von Mann und Frau“ , sie sieht darin aber lediglich eine „Chancengleichheit“ und lehnt eine „Geschlechterpolitik im Sinne einer Ergebnisgleichheit“ ab.

Die AfD hält das gemeinsame Lernen und Miteinander aller Kinder und Jugendlichen für schädlich und führt längst widerlegte Behauptungen als Argument an: „Die ideologisch motivierte Inklusion »um jeden Preis« verursacht erhebliche Kosten und hemmt behinderte wie nicht behinderte Schüler in ihrem Lernerfolg.“  Die AfD plädiert für ein segregierendes Schulsystem unter Beibehaltung von Förder- und Sonderschulen und tarnt dies als Forderung nach größerer Wahlfreiheit für Eltern.

Hingegen fußt das politische Handeln der Gewerkschaften auf einem Menschenbild, das die Würde und Einzigartigkeit des Einzelnen in den Vordergrund rückt. Die GEW sieht die Verschiedenheit von Menschen als Reichtum an und strebt danach, bestmöglich zu Bildung und Entwicklung aller Menschen unterschiedslos beizutragen. Mit diesem Selbstanspruch geht die Position einher, Inklusion nicht nur im Bildungsbereich zu leben, sondern alle gesellschaftlichen Bereiche inklusiv und geschlechtergerecht zu gestalten.

Die AfD untergräbt die demokratische Kultur.

Sie pflegt eine Kultur der Unterstellung und Andeutung, der Einschüchterung, des Ressentiments und von Vorurteilen. Ihr Führungspersonal kokettiert mit Extremist_innen, deren bewusst provokante und grenzverletzende Meinungen sie vorgeblich nicht selbst vertritt, sondern nur wiedergibt, um sich als böswillig missverstandenes Opfer inszenieren zu können, sobald ihre Äußerungen beim Wort genommen werden. So drückt sie sich feige davor, die Verantwortung für ihr Reden und Handeln auch konsequent zu übernehmen. Sie polemisiert und entzieht sich sachlicher Auseinandersetzung. Sie zeigt sich nicht an einer für das Miteinander in einer demokratischen Gesellschaft notwendigen, ernsthaften, aufrechten und respektvollen Debatte interessiert.

Aus diesen und anderen Haltungen und Positionen der AfD zieht die GEW Nordhessen die Schlussfolgerung, in keiner Weise mit der AfD zusammenzuarbeiten. Daher gilt für uns:

  • Die GEW Nordhessen lädt die AfD sowie ihrer Vertreter_innen nicht zu ihren Veranstaltungen ein; sie bietet der AfD mit ihren Positionen keine Bühne.
  • Vertreter_innen der GEW Nordhessen nehmen nicht an Veranstaltungen der AfD teil.
  • Die Vertreter_innen der GEW Nordhessen prüfen die Teilnahme an Veranstaltungen Dritter kritisch, an denen die AfD beteiligt ist. Dabei geht es nicht darum, einer inhaltlichen Konfrontation aus dem Weg zu gehen. Vielmehr geht es darum, dass die bildungsfeindlichen, autoritären und diskriminierenden Argumentationsmuster der AfD sowie die Art und Weise ihres öffentlichen Auftretens eine ernsthafte politische Diskussion so gut wie unmöglich machen.
  • Wir zeigen Haltung für Demokratie, Vielfalt sowie die unantastbare Würde aller Menschen. Wir rufen alle Mitglieder der GEW Hessen auf, sich als wichtiger Teil der Zivilgesellschaft aktiv und offen gegen Demokratiefeindlichkeit und Rechtspopulismus zu positionieren, sich mit ihrer Stimme an Kundgebungen und Demonstrationen zu beteiligen und dort als Gewerkschafter_innen Flagge für eine vielfältige, solidarische und offene Gesellschaft zu zeigen.

Die DGB-Gewerkschaften lassen sich nicht spalten und wehren Angriffe der AfD oder anderer rechtspopulistischer bzw. rechtsextremer Parteien gegen einzelne Gewerkschaften oder Funktionsträger_innen aus unserer Mitte solidarisch ab – auch wenn das bedeutet, kollektiv angefeindet zu werden.

Wir lassen uns durch Angriffe der AfD in Parlamenten, u.a. über den Missbrauch parlamentarischer Anfragen hinsichtlich der Förderung von (z.B. antirassistischen) Projekten oder Initiativen nicht einschüchtern. Wir appellieren an Politiker_innen der demokratischen Parteien, sich ebenfalls solidarisch mit den Betroffenen zu zeigen. Vor allem aber erwarten wir von ihnen, dass sie nicht vor dem Hintergrund von Wahlprognosen und –analysen rechtspopulistische Diskurse befeuern, die das friedliche Zusammenleben in unserer Gesellschaft gefährden.

Für die Zivilgesellschaft ist es vital, sich zum einen gegen die Ursachen dieser gesellschaftlichen Tendenz zum Rechtspopulismus zu wehren, und zum anderen menschenfeindliche und antidemokratische Einstellungen entschieden zurückzuweisen.

GEW-Mitglieder, die einzelne gewerkschaftsferne Positionen oder gar die grundsätzliche Programmatik der AfD befürworten, müssen sich fragen (lassen), ob die GEW noch die für sie adäquate bildungs-, gesellschafts- und sozialpolitische Heimat ist.

 

Beschlossen am 18.11.2016