UniKassel unbefristet

HLZ 11/2020: Digitale Hochschule

Im Herbst 2019 zog eine Aufbruchstimmung durch die Gewerkschaftslandschaft. Die Organizerin Jane McAlevey bot zusammen mit der Rosa Luxemburg Stiftung sogenannte Global Lectures an, einen vierteiligen Crashkurs zu Organizing-Methoden, die helfen sollen, Kämpfe zu gewinnen. Das Konzept selbst ist gar nicht so neu, aber die Euphoriewelle schwappte durch die weltweiten und zeitgleichen Onlinekurse. Es fühlte sich nach einer neuen Bewegung an. Nun ein Jahr später müssen wir wohl mitten in der Pandemie feststellen, dass Jane auch den Weg für digitale Formate geebnet hat.

Kassel: Vom Aufbruch zur Katerstimmung

Das Jahr 2020 sollte das Jahr sein, in dem wir uns richtig organisieren, mehr werden und umso breiter mobilisieren. Das Ende der Vorlesungszeit wurde im Februar mit der Party „Gekommen, um zu bleiben!“ gefeiert und gleichzeitig startete die Petition „Für gute Arbeit mit Perspektive! Für ein Ende des Befristungsunwesens an der Universität Kassel“.  Wir wollten strukturiert – an Jane anknüpfend – die Hochschule organisieren. Aber dann kam ein Virus, das die Welt und auch das Hochschulleben komplett umkrempelte. Wir sahen uns mit zwei Herausforderungen konfrontiert:

  • auch in der Pandemie den befristet Beschäftigten eine Stimme zu geben und weiterhin gute Arbeits- und Vertragsbedingungen einzufordern und zugleich
  • die Verhandlungen zwischen Bund, Ländern und Hochschulen über die Ausgestaltung und Finanzierung des Wissenschaftsbereichs transparent zu machen.

Unsere Petition, über die auch die HLZ wiederholt berichtete, enthält folgende Forderungen:

  • Aufnahme entfristeter Beschäftigung als verbindliches Ziel in den geplanten Kodex für gute Arbeit an hessischen Hochschulen und in den hessischen Hochschulpakt
  • Konkretisierung der landesweiten Entfristungsziele und Bereitstellung der nötigen Mittel zu ihrer Umsetzung an den Hochschulen
  • konkrete und transparente Maßnahmen der Universität Kassel zur deutlichen Erhöhung des Anteils unbefristeter Beschäftigung

Was wir wollten, war klar, uns war aber plötzlich die Möglichkeit genommen, mit unseren Kolleg*innen ins Gespräch zu kommen. Wie macht man eine Kampagne, wenn niemand mehr an seinem Arbeitsplatz ist? Die Individualisierung der Probleme hat in der Pandemie nochmal deutlich zugenommen. Zu den gesundheitlichen Sorgen kamen Betreuungsprobleme, finanzielle und vertragliche Ungewissheiten und die Mehrarbeit, die durch die Umstellung der Lehre auf Onlineformate entstand. Das Leben wurde komplett auf den Kopf gestellt, plötzlich fanden sich viele mit ihrer Arbeit am provisorisch eingerichteten heimischen Küchentisch wieder und sollten nebenbei noch ihre Kinder unterrichten. Wie sollte eine Kampagne die Kolleg*innen erreichen, die mit Kopf und Körper ganz woanders sind? Auch wir mussten uns sammeln und Konzepte erproben.

Und es hat Zoom gemacht

Wir vereinbarten virtuelle Treffen in unseren Küchen, Schlafzimmern und umfunktionierten Arbeitsräumen. Arbeitstreffen, Gremiensitzungen und der Unterricht wurden in digitale Formate umgewandelt, und auch wir probierten so manches aus. Gerade die lockeren Flur- und Essensgespräche fehlten. Wir versuchten, dies mit dem Angebot der Home-Mensa zu kompensieren. Wir trafen uns mit unserem Nudelteller vor dem Laptop und tauschten uns aus. Was aber fehlte, war die Organisierung. Kontakte konnten nicht mehr ausgebaut werden, über die üblichen Verdächtigen ging es nicht hinaus. Die Schwelle für Interessierte war erheblich höher. Wir reagierten mit weiteren offenen Formaten, denn es gab ja auch Chancen, die genutzt werden wollten. Nun war es nicht mehr schwer, Veranstaltungen für Beschäftigte von verschiedenen Hochschulstandorten zu machen. Durch die digitalen Formate waren Entfernungen und Reisewege zunehmend egal. Wir luden zu Treffen ein, um über die Probleme zu diskutieren. Es gab eine hessenweite Vernetzung und einen großen Austausch über die Situation an den einzelnen Standorten.

Die Petition geht online

An Unterschriftenlisten war nicht mehr zu denken. Auch wenn wir ursprünglich nicht auf schnelle Unterschriften oder Klicks aus waren, weil wir mit Leuten ins Gespräch kommen wollten, stellten wir die Petition online. Eine kleine Arbeitsgruppe sprach dann systematisch die einzelnen Fachbereiche an. Jede Woche wurde eine andere Fachrichtung individuell mit Sharepics über den Newsletter, über Facebook und Twitter adressiert (Abbildungen: S.17).
Wichtig hierfür war das gezielte Vorgehen. Wir haben die einzelnen Webseiten der Fachbereiche studiert und in mehreren Telefonaktionen die Kolleg*innen angerufen. So haben wir erfahren, wie es unseren Kolleg*innen in den jeweiligen Einrichtungen so geht, und konnten schließlich auch für die Petition Werbung machen. Mittlerweile ist dadurch ein recht gutes Netzwerk entstanden.

Im Juli war es dann soweit. Am Dienstag, 21. Juli 2020, um fünf vor zwölf, haben rund 30 Personen der Initiative Uni Kassel Unbefristet stellvertretend für die 869 Beschäftigten, die unterschrieben haben, die Petition „Für gute Arbeit mit Perspektive! Für ein Ende des Befristungsunwesens an der Universität Kassel“ übergeben. Wir fordern damit sowohl das Land Hessen als auch das Präsidium auf, eine konkrete, umfassende und überprüfbare Erhöhung des Anteils unbefristeter Beschäftigung an den Hochschulen in der Zielvereinbarung mit dem Land zum Hessischen Hochschulpakt festzuschreiben.

Eine richtige Organisierung haben wir nicht geschafft, dafür fehlten die sozialen Räume. Aber es gab eine beachtliche Mobilisierung, an die wir anknüpfen wollen. Mit einem Pod­cast über Zielvereinbarungen haben wir bereits ein weiteres digitales Format aufgegriffen und machen so auf unsere Einflussmöglichkeiten aufmerksam. Im Ausnahmezustand befanden sich die Hochschulen schon vor der Pandemie; jetzt spitzt sich die Lage noch einmal zu. Deutlicher als einen Digitalisierungsschub brauchen wir eine Entfristungsoffensive, denn nur so werden die Hochschulen krisensicher. Noch sind viele der Beschäftigten da, die die Krise meistern, nun müssen wir diese Fachkräfte auch halten.

Peter Hosse, Initiative UniKassel unbefristet

unikasselunbefristet.com

Petition