Veranstaltung der GEW in Kassel: Grundrechte in Gefahr?

Bericht der Veranstaltung am 21. Februar 2020

Am 21. Februar fand in Kassel die 2. Veranstaltung der nordhessischen GEW gegen die zunehmende Repression in Deutschland und in Europa statt (siehe HLZ /2020). Die Hamburger Rechtsanwältin Gabriele Heinecke berichtete über die G-20-Prozesse in Hamburg, Michèle Winkler aus Köln über den Erfolg der Bewegung im Hambacher Forst und das neue Polizeigesetz in NRW.

Planung und Ablauf des G-20-Gipfels 2017 in Hamburg stellten nach Ansicht von Gabriele Heinecke eine massive Beeinträchtigung des Versammlungsrechts dar. Unter dem neuen Begriff einer „drohenden Gefahr“ sei geprobt worden, wie weit der Bevölkerung fundamentale Rechte entzogen werden können: eine Übung zur Vorbereitung der dann folgenden neuen Polizeigesetze. Mit der Angst vor einem gewalttätigen „schwarzen Block“1 wurde gerechtfertigt, eine 38 Quadratkilometer große Demonstrationsverbotszone einzurichten und mit 30.000 Polizisten die Bewegungsfreiheit schon im Vorfeld des Gipfels massiv einzuschränken. Als am Abend des 7. Juli Betrunkene im Schanzenviertel randalierten, war keine Polizei zu sehen, dafür entstanden die Bilder, mit denen dann Stimmung gemacht wurde.

Gabriele Heinecke erinnerte an die Festnahme von Mitgliedern der SPD-Jugendorganisation Die Falken aus einem Bus an diesem 7. Juli und ihren Transport in die eigens erbaute Gefangenensammelstelle in Hamburg-Neuland: „Die jungen Leute wurden weggesperrt, mussten sich nackt ausziehen und sich in alle Körperöffnungen gucken lassen. Erst Stunden später wurden die Jugendlichen durch die Intervention eines Vaters entlassen.“ Das Protestcamp auf der Halbinsel Entenwerder wurde von der Polizei vom Platz geprügelt2 - trotz richterlicher Erlaubnis: „Obwohl der Rechtsbruch durch die Presse ging, protestierten die Richter*innen des Verwaltungsgerichts nicht.“

Besonders schwerwiegend beurteilte Heinecke die Fälle von 4 jungen Menschen im sog. Elbchaussee-Prozess, davon 2 zur Tatzeit noch minderjährig, und des damals 18 jährigen Fabio V. aus Norditalien. Das G-20 Sondergericht Hamburg-Neuland erließ Haftbefehl wegen Landfriedensbruchs - ohne konkreten Vorwurf. Das Hanseatische Oberlandesgericht wies die Haftbeschwerde ab und veröffentlichte den Beschluss in der Neuen Zeitschrift für Strafrecht  zur Kenntnis der Strafrichter*innen in Hamburg; ein ungewöhnliches Vorgehen: „Einzelne eigenhändige Gewalthandlungen lassen sich dem Beschuldigten (…) nicht zuordnen.“ An anderer Stelle: „Bei seiner Festnahme am nächsten Tag konnte bei ihm szene-typische Vermummung (schwarze Gore-Tex-Jacke, schwarz-weißer Schal) sichergestellt  werden. Im Übrigen war er - wiederum szenetypisch - mit dunklen Turnschuhen bekleidet.“3  In den weiteren Passagen, in denen dem jungen Mann Jugendrecht, Unschuldsvermutung und Beschuldigtenrechte verweigert werden, sieht Gabriele Heinecken eine maßlose, eine erschreckende Sprache: „So bekämpft man einen Feind, weil in ihm - dem unbekannten jungen Menschen - eine allumfassend drohende Gefahr für die bürgerliche Ordnung vermutet wird.“ Fabio V. saß fünf Monate in Untersuchungshaft, die Beschuldigten im Elbchausseeprozess haben bereits 60 Verhandlungstage hinter sich, zu denen sie jedes Mal nach Hamburg reisen müssen, mit erheblichen Folgen für ihre Ausbildung. Auch ihnen kann keine konkrete Gewalthandlung nachgewiesen werden.

Michèle Winkler, die beim Grundrechtekomitee und bei Ende Gelände aktiv ist, knüpfte an dem unbestimmten Begriff der drohenden Gefahr an. Galt bisher die Notwendigkeit einer „konkreten Gefahr“, so bekommt die Polizei nun einen viel größeren Ermessensspielraum für Aufenthaltsverbote, für die Verfügung von „gefährlichen Orten“ oder für vorbeugendes Unterbindungsgewahrsam und Polizeigewahrsam. Waren es bisher 48 Stunden, erlaubt das neue Polizeigesetz in NRW jetzt Präventivgewahrsam von bis zu 28 Tagen. In Niedersachsen sind es nun 35 Tage, in Bayern ist überhaupt keine Frist angegeben. Alles in Widerspruch zu Artikel 104 des Grundgesetzes.4 

Gerade die Morde in Hanau zeigten die Notwendigkeit politischer Bildung und Aufklärung, einer aktiven Zivilgesellschaft. Der Abbau von Grundrechten werde immer bei den ungeschütztesten Gruppen der Bevölkerung begonnen - aktuell den Geflüchteten und Migrant*innen. Damit wachse die Wahrscheinlichkeit, dass auch allen anderen Freiheitsrechte entzogen werden. Ob die neuen Möglichkeiten von der Polizei genutzt werden, sei immer eine politische Entscheidung, so Winkler. Sie signalisierten in jedem Fall eine lange Leine. Eine konkrete Folge ist das „Lex Hambi“: Wie lange dürfen Menschen festgehalten werden, die sich einer Identitätsfeststellung verweigern. Viele Aktivist*innen tun das, um zivilrechtlichen Klagen der RWE zu entgehen, die in der Regel sehr teuer werden. Waren es vorher 12 Stunden, so sind es jetzt 7 Tage, in denen den Menschen ihre Freiheit entzogen werden darf.

Am Beispiel des Hambacher Forstes sei es der Interessenkoalition von RWE, Landesregierung und Polizei aber nicht gelungen, den Schwung der meist jungen Menschen in Bewegung zu brechen: trotz Einschüchterung und Diffamierungen bis hin zu Lügen. Das breite Bündnis aus Baumbesetzer*innen und dörflichen Unterstützer*innen, Klimagruppen wie Ende Gelände, Kirchenvertreter*innen, Graswurzelinitiativen und NGOs konnte sich während der Räumung der Baumhütten im September 2018 über eine riesige Beteiligung bei den wöchentlich stattfindenden Sonntagsspaziergängen und bei weiteren Blockadeaktionen freuen. Tausende Menschen erzeugten politischen Druck und am 5. Oktober kam der gerichtliche Rodungsstopp. Nach diesem Zwischenerfolg der Klimaaktivist*innen spitzt sich der Konflikt um das Ende der Kohleverstromung aktuell um das Steinkohlekraftwerk Datteln 4 weiter zu, das trotz geplanten Kohleausstieg in diesem Jahr neu ans Netz gehen soll. Am 1. Februar wurden 3 Theologi*innen des Instituts für Theologie und Politik willkürlich festgenommen, mussten sich nackt ausziehen und die Nacht in Gewahrsam verbringen. Gegen den Freiheitsentzug und die unwürdige Behandlung, sowie ein zusätzlich verhängtes 3-monatiges Aufenthaltsverbot am Kraftwerk Datteln 4 gehen sie mit Klagen und Mahnwachen offensiv vor.

Beide Referentinnen stimmten darin überein, dass die neuen Polizeigesetze Teil einer Atmosphäre der Einschüchterung seien, die junge Menschen davon abhalten soll, sich gegen konkrete Missstände zur Wehr zu setzen. In der anschließenden Diskussion mit den Besucher*innen der Veranstaltung wurde darauf hingewiesen, dass bei der Bevölkerung, aber auch den Gewerkschaften, das Bewusstsein geschärft werden müsse, dass Jede und Jeder betroffen sein könne. Der Entzug von Rechten und Freiheiten sei nicht unmittelbar zu spüren, werde aber langfristig gefährliche Folgen haben. Einhelligkeit bestand darin, dass die GEW die von Repression betroffenen jungen Menschen nicht allein lassen dürfe, sondern an ihrer Seite stehen müsse.

1 Aus nicht überprüfbaren und geheimdienstlichen Quellen wurde Anfang Juni 2017 von 1.000, Ende Juni schon von 10.000 anreisenden „Gewaltbereiten“ gesprochen.

2 Hamburgs Polizeichef Dudde wurde damals durch Richter „Gnadenlos“ Ronald Schill ins Amt gebracht.

3 NstZ 2017, 544 ff.

4 (2) Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nur der Richter zu entscheiden. Bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Die Polizei darf aus eigener Machtvollkommenheit niemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in eigenem Gewahrsam halten. Das Nähere ist gesetzlich zu regeln+(3) Jeder wegen des Verdachtes einer strafbaren Handlung vorläufig Festgenommene ist spätestens am Tage nach der Festnahme dem Richter vorzuführen, der ihm die Gründe der Festnahme mitzuteilen, ihn zu vernehmen und ihm Gelegenheit zu Einwendungen zu geben hat. Der Richter hat unverzüglich entweder einen mit Gründen versehenen schriftlichen Haftbefehl zu erlassen oder die Freilassung anzuordnen.

 

22.02.2020, Bernd Landsiedel