HLZ 7-8/2021: Hessen postkolonial
Wenige Tage vor Redaktionsschluss der HLZ legte Wissenschaftsministerin Angela Dorn (Bündnis 90/Die Grünen) den lange erwarteten Entwurf zur Novellierung des Hessischen Hochschulgesetzes (HHG) vor. Eine ausführliche Übersicht über die Themen, die die schwarz-grüne Koalition aufgreifen will, und die Stellungnahmen der GEW findet man hier auf unserer Homepage:
cutt.ly/vmarT7m.
Unser erstes besonderes Augenmerk galt der Frage, ob und wie die Landesregierung die Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen und nach der Entfristung befristeter Arbeitsverträge angeht. Beim ersten Blick in den Entwurf keimt eine gewisse Hoffnung auf, dass die Landesregierung die vielen Aktionen wahrgenommen hat und dem Befristungsunwesen auch mit gesetzlichen Regelungen entgegentreten will:
Schon beim ersten Lesen des Gesetzentwurfs wird aber auch deutlich, dass das Korsett eines Qualifikationssystems letztlich nicht durchbrochen wird: Dass Befristung in den Hochschulen weiter gewollt ist, zeigt allein die Verwendung des Begriffs „Nachwuchs“.
Damit bleibt auch die hessische Wissenschaftspolitik in der Logik der Bayreuther Erklärung von Hochschulkanzler:innen, die die Hochschulen als ein Qualifizierungssystem sehen, in dem Qualifizierung nur in einem zeitlich befristeten Arbeitsvertrag stattfinden darf. Auch ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung veröffentlichtes Video zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG), das mittlerweile wieder gelöscht wurde, sorgte für Empörung. Um den Arbeitsplatz Hochschule kennenzulernen und durch Flexibilität für neue Impulse und Innovationen zu sorgen, müssten die Verträge jüngerer Wissenschaftler:innen befristet sein. Das Ganze passt sich wunderbar in die voranschreitende Neoliberalisierung der Hochschule und in die scheinbare Unabwendbarkeit der vorliegenden Bedingungen und Möglichkeiten ein.
Die Wissenschaftsgemeinschaft reagierte auf das Video mit dem Hashtag #IchbinHanna. Über 11.000 Tweets dokumentierten in wenigen Tagen, was das Wissenschaftssystem im Allgemeinen und das Wissenschaftszeitvertragsgesetz im Besonderen mit den Lehr-, Forschungs- und Arbeitsbedingungen machen und gleichzeitig, warum wir als wissenschaftliche Mitarbeiter:innen diese Arbeit so gerne machen. Die Debatten auf Twitter zeigen, dass die Problematik der Befristung sehr tiefgreifend ist und Menschen auf keinen Fall das reale Leben dazwischenkommen sollte, denn dann können die ungeschriebenen Leistungskriterien für eine Professur nicht erreicht werden.
Aus GEW-Sicht soll spätestens das Ende einer Promotion mit dem Ende der Befristung einhergehen, damit Wissenschaftler:innen nicht auch in der zweiten Qualifikationsphase immer weiter befristet beschäftigt sein müssen. In Drittmittelprojekten ist eine Befristung sogar unendlich möglich, auch wenn in der Praxis die Hochschulen manchmal wegen möglicher Kettenverträge Rückzieher machen.
Auch die Umfrage der Initiative darmstadt unbefristet, die wir in dieser HLZ auf Seite 10f. dokumentieren, macht in drastischer Form deutlich, dass Befristung keineswegs zu mehr Innovation führt: Dauerstress und massive Überstunden führen im Gegensatz dazu, dass Menschen weniger produktiv sind, in der Wissenschaft genauso wie in allen anderen Bereichen. Um Kreativität zu fördern, müssen sich die Arbeitsbedingungen ändern. Die Frage ist nur, ob das mit dem bestehenden WissZeitVG überhaupt möglich ist. Auch der Entwurf zur Änderung des Hessischen Hochschulgesetzes ist nicht der große Wurf zur Veränderung des Hochschulsystems und das Befristungsunwesen wird so kaum zu Fall gebracht werden können. Die Bemühungen sind erkennbar, aber es wird nicht ohne andere bundesgesetzliche Rahmenbedingungen gehen, damit wir auch für Hanna bessere Arbeitsbedingungen erreichen.
Dr. Simone Claar
Simone Claar leitet im Team mit Wolfgang Richter-Girard das Referat Hochschule und Forschung im GEW-Landesvorstand.