Umfrage an hessischen Hochschulen

Befristet Beschäftigte sind von der Pandemie besonders betroffen

 

HLZ 7-8/2021: Hessen postkolonial

Die Belastung der Beschäftigten an Hessens Hochschulen ist im Zuge der Corona-Pandemie deutlich gestiegen. Das dokumentiert eine Befragung von mehr als 3.000 Hochschulmitarbeiterinnen und -mitarbeitern, die die Gewerkschaften ver.di und GEW gemeinsam mit der Initiative darmstadt unbefristet  Mitte Mai vorgestellt haben. So geben 60 Prozent der Befragten an, ihr Arbeitsstress habe seit Beginn der Pandemie zugenommen. Für 72 % der Wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stieg der Aufwand für Arbeiten in der akademischen Selbstverwaltung und für administrativ Tätigkeiten.

Mit der Corona-Pandemie habe sich die Belastung an den Hochschulen noch einmal deutlich erhöht, sagte der Physiker Johannes Reinhard von darmstadt unbefristet. Das gelte insbesondere für befristet Beschäftigte:

„Befristet Beschäftigte sind in allen Bereichen stärker betroffen. Sie arbeiten häufiger abends und an Wochenenden, kommen öfter krank zur Arbeit und klagen stärker darüber, ständig erreichbar sein zu müssen.“

Eine große Mehrheit von 84 Prozent der Befragten geht davon aus, dass sich Forschungsvorhaben und Qualifikationsarbeiten infolge der Pandemie verzögern. Die Bundesregierung hat durch eine Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes die Möglichkeit geschaffen, befristete Verträge wegen der Pandemie um zwölf Monate über den bisherigen Höchstrahmen hinaus zu verlängern. Reinhard hält dies jedoch für unzureichend:

„Es gibt keinen verbindlichen Anspruch, Verlängerungen müssen einzeln beantragt und begründet werden. Wir fordern, dass allen befristet Beschäftigten eine Verlängerung ihrer Verträge angeboten wird. Das ist doch wohl das Mindeste.“

Die Soziologin Ricarda Kramer verwies darauf, dass Beschäftigte mit befristeten Verträgen auch unabhängig von der aktuellen Situation unter großem Druck stehen. So geben 80 Prozent von ihnen an, sich sehr häufig oder oft Sorgen um die eigene berufliche Zukunft zu machen. Von diesen Befragten fühlen sich wiederum 80 Prozent davon (eher) stark belastet:

„Die permanente Unsicherheit bedeutet einen enormen psychischen Druck, der potenziell krank macht. Wir brauchen an den Hochschulen und Universitäten dringend mehr unbefristete Stellen. Das ist sowohl im Interesse der Betroffenen als auch im Sinne guter Lehre und Forschung. Wenn die Bearbeitung von Daueraufgaben ständig wechselt, ist das auch für die Studierenden und die administrativen Abläufe schädlich.“

Was heißt das für die GEW?

Die GEW Hessen kündigte nach der Vorstellung der Umfrage an, dass sie gemeinsam mit den „unbefristet“-Initiativen an den hessischen Hochschulen  den Druck für mehr unbefristete Verträge erhöhen will:

„Die Umfrage zeigt, dass sich die Arbeitsbedingungen trotz der Änderungen im Wissenschaftszeitvertragsgesetz von 2016 nicht verbessert haben. Das gilt für wissenschaftliche Beschäftigte, aber auch für die wissenschaftsunterstützenden und technisch-administrativen Bereiche. Die Verdichtung von Arbeit durch das immer mehr wettbewerbsorientierte Hochschulsystem hat schon vor der Corona-Pandemie viele an ihre Grenzen gebracht und auch dazu geführt, dass den Hochschulen gute und kluge Köpfe verloren gingen.“

Let‘s organize!

Die Umfrage verdeutlicht, dass die Befristung das Dauerthema an den Hochschulen ist. Durch Corona sind viele Beschäftigte an ihre persönlichen Grenzen gelangt. Mittlerweile befinden wir uns im dritten digitalen Semester. Die Arbeitsbelastung hat sich nicht verringert, sondern man sieht den Kolleginnen und Kollegen an, dass ihre Ressourcen verbraucht sind. Zu oft wird auch davon ausgegangen, dass es ein Leichtes sei, im Homeoffice zu arbeiten und parallel Kinder zu beschulen und zu betreuen oder Angehörige zu pflegen.

Wir müssen uns weiter organisieren! In den letzten vier Jahren hat sich viel verändert und es gibt – nicht nur in Hessen – deutlich mehr Zusammenschlüsse von Beschäftigten an Hochschulen. UniKassel Unbefristet hat seit 2017 viel dafür getan, das Thema Befristung über Kassel hinaus bekannt zu machen. Das ist gut! Aber wir müssen den Druck gerade jetzt weiter erhöhen: Im Herbst finden die Tarifverhandlungen für die Beschäftigten des Landes statt (HLZ S.7) und auch bei den Beratungen zur Novellierung des Hessischen Hochschulgesetzes (HLZ S. 8) wollen wir das Thema nach vorne bringen.(HLZ 7-8/2021)

Wir wollen erreichen, dass es nicht nur neue Personalkategorien gibt, sondern auch rechtliche Verbindlichkeiten für die Reduzierung der Befristung.

Wir freuen uns, wenn auch DU dabei bist, gemeinsam für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen: Let’s organize!

Dr. Simone Claar
Referat Hochschule und Forschung im GEW-Landesvorstand


darmstadt unbefristet: Die Umfrageergebnisse im Detail

An der Umfrage von darmstadt unbefristet, GEW und ver.di, die in der Zeit vom 30. Oktober 2020 bis zum 22. Januar 2021 durchgeführt wurde, haben sich 3.148 Beschäftigte an hessischen Hochschulen beteiligt.  Hier die wichtigsten Ergebnisse:

  • Etwa zwei Drittel (über 66 %) der befristet Beschäftigten an hessischen Hochschulen machen sich sehr häufig oder oft Sorgen um ihre berufliche Zukunft. Über 80 % der unbefristet Beschäftigten machen sich selten bzw.nie Sorgen um ihre berufliche Zukunft.
  • 88 % der Befragten identifizieren sich in (sehr) hohem Maß mit ihrer eigenen Arbeit. Diese Kombination aus hoher Identifikation mit der eigenen Arbeit und befristeter Beschäftigung begünstigt die Selbstausbeutung.
  • Zwei Drittel (68 %) der befristet Beschäftigten an hessischen Hochschulen haben in den vergangenen zwölf Monaten mindestens einen Tag krank gearbeitet, 18 % an mehr als zehn Tagen. Bei den unbefristet Beschäftigten haben dagegen  40 % nie krank gearbeitet, 12,5 % an mehr als zehn Tagen.
  • Sowohl befristet als auch unbefristet Beschäftigte an hessischen Hochschulen waren vor Beginn der Pandemie zu rund 20 % (eher) stark durch die Arbeitszeitbedingungen belastet. Seit der Pandemie hat sich die Belastung durch die allgemeinen Arbeitszeitbedingungen bei unbefristet Beschäftigten um 16 % und bei befristet Beschäftigten sogar um 21 % erhöht.
  • Sowohl bei befristet als auch bei unbefristet Beschäftigten hat sich die Vereinbarkeit der Arbeit mit Ruhe- und Erholungszeiten seit der Pandemie für die überwiegende Mehrheit stark oder leicht verschlechtert. Dies trifft auf 40 % der unbefristet und 57 % der befristet Beschäftigten zu. Alle machen seit der Beginn der Pandemie mehr Überstunden.
  • Die Care-Arbeit ist seit der Pandemie für befristet und unbefristet Beschäftigte unabhängig vom Geschlecht stark angestiegen.
  • In der Lehre ist der Arbeitsaufwand seit der Pandemie bei 77 % der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutlich oder leicht angestiegen. Im administrativ-technischen Bereich ist der Arbeitsaufwand seit der Pandemie bei etwas über 72 % deutlich oder leicht angestiegen. In der Forschung hat sich der Arbeitsaufwand hingegen nur für 32 % der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seit der Pandemie erhöht, bei 23 % ist er sogar gesunken.
  • Jede zweite Frau (48 %) registriert oder erwartet deutliche Verzögerungen in ihren Publikationen, bei Männern liegt der Anteil bei 37 %. Etwa 84 % aller Befragten gehen davon aus, dass sich ihr Qualifikationsziel aufgrund der Pandemie verzögern kann oder wird.
  • Seit der Pandemie gab es eine Verschiebung der Arbeit hin zu administrativen Tätigkeiten und Lehrtätigkeiten und weg von der Forschung. Für 60 % der Befragten hat sich die Stresssituation seit der Pandemie stark oder leicht verschlechtert. Auch die Beziehungen zu Kolleginnen, Kollegen und Studierenden haben sich seit der Pandemie verschlechtert.