Viele Versprechen bislang nicht umgesetzt!

Bildungspolitische Halbzeitbilanz

Pressemitteilung 16. Juli 2021

Die Bildungspolitik der schwarz-grünen Koalition bleibt in den ersten zweieinhalb Jahren der Legislaturperiode hinter den Versprechungen der beiden beteiligten Parteien zurück. CDU Hessen und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hessen unterzeichneten im Dezember 2018 ihren zweiten Koalitionsvertrag. Bildung wird in diesem als ein Schwerpunkt der Politik der Regierungsparteien identifiziert, da Bildung das „Fundament unserer Gesellschaft“ sowie für jeden Einzelnen den „Schlüsse für ein gelingendes Leben“ darstelle.

Birgit Koch, Vorsitzende der GEW Hessen, zog eine ernüchterte Halbzeitbilanz: „Die Koalitionsparteien sind zu den Landtagswahlen 2018 mit deutlich zu unterscheidender Programmatik angetreten. Die oftmals in die richtige Richtung weisenden Ansätze, die wir insbesondere im Wahlprogramm der GRÜNEN wahrgenommen haben, fanden sich leider größtenteils nicht im Koalitionsvertrag. Mit einem echten Aufbruch in der Bildungspolitik haben wir von daher nicht gerechnet, jedoch hatten wir zumindest auf punktuelle Fortschritte gehofft. Nach zweieinhalb Jahren müssen wir leider konstatieren, dass insbesondere die von uns positiv beurteilten Passagen des Koalitionsvertrags bislang nicht umgesetzt wurden.“ Die GEW erkenne zwar an, dass zwischenzeitlich die Corona-Pandemie einen Großteil der Aufmerksamkeit gebunden habe. Allerdings werde die Krisenbewältigung nun dadurch erschwert, dass viele bestehende Probleme nicht bereits im Vorfeld bearbeitet worden seien.

Zum Bereich der frühkindlichen Bildung äußerte sich Andreas Werther, der bei der GEW Hessen als Referent für Sozialpädagogik und Weiterbildung tätig ist: „Die Ankündigung aus dem Koalitionsvertrag, jeder vom Bund für diesen Bereich bereitgestellte Euro werde mit Landesmitteln verdoppelt, ist keineswegs eingehalten worden.“ Vielmehr seien über das so genannte „Starke Heimat Hessen“-Gesetz originär kommunale Mittel in Einsatz gebracht worden. Die GEW stelle darüber hinaus fest, dass von Seiten des Landes zu wenig Mittel in die Hand genommen werden, um dem gravierenden Fachkraftmangel wirkungsvoll zu begegnen. „Das im Koalitionsvertrag formulierte ‚Erzieherpaket‘ ist nicht geeignet, hier Abhilfe zu schaffen. Es braucht eine Fachkraftoffensive, die diesen Namen auch verdient.“ Eine massive Förderung bezahlter Ausbildungswege für angehende Erzieherinnen und Erzieher sei sicherlich mit erheblichen Kosten verbunden. Die Landesregierung scheue sich anscheinend, die erforderlichen Gelder zu mobilisieren.

Angesichts der durch die Corona-Pandemie zusätzlich angespannten Personalsituation in den Kitas sei dies eine „folgenschwere Unterlassung“. Allein die qualitativen Verbesserungen, die durch das so genannte „Gute Kita“-Gesetz für Hessen vereinbart wurden, führten zu einem Mehrbedarf von 1.686 Vollzeitstellen bis August 2022. Angesichts der hohen Teilzeitquote im Berufsfeld bedeute dies über 2.000 zusätzliche Beschäftigte. Es zeichnet sich Andreas Werther zufolge ab, dass diese Marke nicht erreicht wird. Erschwerend wirke sich aus, dass viele Erzieherinnen und Erzieher sich in ihrer Tätigkeit mangelhaft wertgeschätzt sähen. Nicht wenige überlegten, den Beruf zu wechseln. Manch ältere Beschäftigte erwögen, vorzeitig in den Ruhestand zu gehen.

Als ein weiteres Beispiel für enttäuschte Hoffnungen verwies Birgit Koch auf den jüngst vorgelegten Entwurf zur Novellierung des Hessischen Lehrkräftebildungsgesetzes. Im Koalitionsvertrag wurde angekündigt, relevante Themen wie die Integration von Schülerinnen und Schülern nicht-deutscher Herkunftssprache, Inklusion, Medienbildung und Digitalisierung, Lesen-Schreiben-Rechnen, sozialpädagogische Förderung, berufliche Orientierung sowie Ganztag stärker aufzugreifen. Birgit Koch kam zu folgender Einschätzung: „Wir sehen ebenfalls die im Koalitionsvertrag beschriebene Notwendigkeit, diese Gesichtspunkte aufzuwerten. Der nun vorgelegte Gesetzentwurf kann dieses Versprechen leider nicht einlösen. Wenngleich diese Themen zwar im Gesetz benannt werden, bleibt die Frage offen, wie die Umsetzung gelingen soll. Hessen will an der bundesweit kürzesten Studiendauer von nur sieben Semestern beim Lehramt an Grundschulen sowie beim Lehramt an Haupt- und Realschulen festhalten. Abzuziehen sind ein Prüfungssemester sowie ein Praxissemester. In nicht mehr als fünf Semestern Studiendauer ist es schlechterdings unmöglich, die Lehrkräfte von morgen angemessen auf die wachsenden Anforderungen vorzubereiten.“

Die angekündigte verstärkte Unterstützung für Schulen, die aufgrund des Förderbedarfs oder des sozialen Hintergrunds ihrer Schülerinnen und Schüler besonders gefordert sind, lasse noch auf sich warten. Im Koalitionsvertrag wurde unter anderem angekündigt, dass die Mindestzuweisung an Stellen nach dem Sozialindex erhöht werden soll. Jeder Grundschule soll pro 250 Schülerinnen und Schülern mindestens eine Förderpädagogen-Stelle sowie eine Stelle für eine sozialpädagogische Fachkraft fest zugewiesen werden. Birgit Koch erinnerte daran, dass es hier um die Schulen geht, bei denen sich nun die Folgen der Corona-Pandemie am stärksten niederschlagen: „Es sind gerade die Schulen in einem schwierigen sozialen Umfeld, bei denen viele Schülerinnen und Schüler unter den Corona-bedingten Einschränkungen des Schulbetriebs gelitten haben. Schlechteren Lernvoraussetzungen zu Hause müssen wir endlich mit besonders gut ausgestatteten Schulen begegnen. Das ist heute noch wichtiger als zuvor.“

Mit Blick auf die Hochschulen zieht die GEW eine gemischte Bilanz. „Im Grundsatz sind verschiedene Ansätze erkennbar, um die Qualität von Studien- und Arbeitsbedingungen zu verbessern. Es kommt aber noch zu wenig bei Studierenden und Beschäftigten an“, brachte es Dr. Simone Claar als Leiterin des Referats Hochschule und Forschung der GEW Hessen auf den Punkt. Das von der grünen Ministerin Angela Dorn geführte Wissenschaftsministerium habe noch kurz vor der Corona-Pandemie mit den Hochschulen einen Pakt vereinbart, der den Hochschulen deutlich mehr Gelder pro Jahr zusagt, wenn diese Verbesserungen umsetzen. „Die Hochschulleitungen wollen am liebsten nichts vereinbaren, was über die unzureichenden gesetzlichen Mindeststandards hinausgeht. Dies merken wir bei den laufenden Verhandlungen zum Kodex für gute Arbeit. Das Ministerium sieht Handlungsbedarf, die Leitungen blockieren.“

Auch was die versprochene Verbesserung der Betreuungsrelation an den Hochschulen anbelangt, sei noch kein Fortschritt spürbar: „Die Hochschulen haben zwar mehr Geld zur Einstellung von Personal erhalten, aber für eine wirksame Verbesserung muss zukünftig noch an weiteren Stellschrauben gedreht werden. Beispielsweise wäre eine Verkleinerung der Seminargrößen oder eine Reduzierung der Lehrpflicht besonders zielführend“, so Simone Claar weiter. Als unzureichend bewerte die GEW die 300 zusätzlichen Professuren, die zur besseren Betreuung beitragen sollen: „Diese Professuren werden ohne jegliche Ausstattung vergeben. Die Hochschulen müssen also zusätzlich Geld für Mitarbeitende, Sekretariat und die weitere Ausstattung in die Hand nehmen. Die Einrichtung dieser Stellen ist daher für viele Hochschulen unattraktiv.“

Koalitionsvertrag der Landesregierung 

Foto: Joe Woods | unsplash.com